Mit dem unbegreiflichen Gott leben

Denkwürdig

(c) Deutsche Provinz der Jesuiten
Datum:
Do. 7. März 2024
Von:
Heribert Körlings

Zum Gedenken an Karl Rahner

Karl Rahner, geboren am 5. März 1904, gestorben am 30. März 1984, gilt als einer der wichtigsten und einflussreichsten katholischen Theologen des 20. Jahrhunderts. Seine vielschichtigen Ausführungen zu unterschiedlichen Fragen des Lebens und des Glaubens können auch heute zum nachdenklichen Lesen, zur Meditation und zum Gebet Anstöße geben. 

In zwei schmalen Büchern „Würde mir Gott fehlen?“ (ausleihbar in der Diözesanbibliothek 72 318) und „Gott erfahren – wie soll das gehen?“ stellen die beiden kenntnisreichen Herausgeber Andreas R. Batlogg und Peter Suchla nach einer jeweils kurzen, klaren Einführung klug ausgewählte, klar gegliederte, gut lesbare Texte aus unterschiedlichen Schriften Rahners zusammen. Die beiden 2022 und 2023 im Grünewald Verlag erschienen Bücher gehören zu einer Reihe, die zu einer lohnenden Beschäftigung mit Karl Rahner einlädt. 

Gott ist kein Gebrauchsgegenstand
„Würde mir Gott fehlen?“ Diese Frage macht Gott nicht zu einem Gebrauchsgegenstand, den man je nach Bedarf benutzen kann. Als der tragende Grund der Wirklichkeit, der Horizont meines Denkens, die Quelle meiner Freiheit, bleibt er vielmehr das Geheimnis, in dem alles lebt. Umgeben von dem unbegreiflichen, unbeweisbaren Gott, kann ich mich ihm überlassen. Vertrauensvoll liebe ich Gott um seiner selbst willen.

Im alltäglichen Leben zeigt sich damit die grundlegende Alternative: Alles soll man wichtig nehmen, aber nichts Endliches absolut setzen. Die Verabsolutierung einzelner Lebensmöglichkeiten, zum Beispiel der Technik oder der Macht bedeutet Vergötzung. Aus ihr erwachsen dumme Schwarz – Weiß – Malerei der Politik, Intoleranz, der Fanatismus der Weltanschauungen. 

Hinweise auf Gott
Aber ich kann auch erleben, dass ich um meiner selbst willen geliebt bin. Und ich kann den anderen Menschen um seiner selbst willen lieben. Die personale, bedingungslose, beglückende, zwischenmenschliche Beziehung kennzeichnet eine Lebenssituation, die auf Gott hinweisen kann. Das geht über eine momentane Stimmung hinaus. Rahner benennt weitere Beispiele, die man als Hinweise auf Gott lesen kann: Zu verzeihen, ohne einen Lohn dafür zu bekommen, zu tun, was notwendig ist, ohne Dank zu erhalten, gut zu sein ohne ein Echo zu erwarten, dem Anspruch des Gewissens in einsamer Entscheidung und eigener Verantwortung folgen.

„Gott erfahren – wie soll das gehen?“

Der Mensch kann das Fragen in seinem Leben als die Beziehung zu Gott erfahren. Gott ist kein Bestandteil der Welt. Von ihm kann man sich kein Bild aus dem Holz der Welt machen. Wenn wir Gott sagen, bezeichnet das den Namenlosen, den Unbegreiflichen. Zum Menschen gehört aber, dass er über sich hinaus fragt. Über sich hinaus zu fragen kennzeichnet menschlichen Geist. Das Fragen will etwas erkennen. Es realisiert sich in jeder Alltagserkenntnis. Die unbegrenzte Weite des Geistes lässt sich als Bewegung verstehen. Damit sieht sich der Einzelne „unthematisch“ auf Gott, den erfüllenden Grund hingewiesen, ob er das reflektiert oder nicht. Macht er sich das jedoch bewusst, kann man von einer „ursprünglichen Gotteserfahrung“ sprechen. Diese kann dem Menschen nicht von außen angetragen werden. Sie bezieht sich auf ein anonymes, vielleicht verdrängtes Grunderlebnis, auf Gott verwiesen zu sein. Bestimmte Erfahrungen im Alltag kann man als Grunderfahrungen verstehen. Man kann sie im Gespräch mit anderen auch als Gotteserfahrung lesen.

Konkretisierend nennt Rahner hier Situationen, die oben bereits zur Sprache kamen: Im Bewusstsein, dass jede Beziehung brüchig ist, dem anderen vertrauen; in Situationen von Hoffnungslosigkeit trotzdem zu hoffen, ein freudiges Erlebnis als Verheißung grenzenloser Freude erfahren und deuten. Rahner fordert dazu auf, sich der Einsamkeit, der Angst, der Nähe zum Tod zu stellen. Er ermutigt aber auch dazu, das Schweigen auszuhalten, das Verlangen nach Liebe, nach Gemeinsamkeit hochkommen zu lassen. Hier kommt dann vielleicht etwas zutage, das so aussieht wie das Namenlose mit der Möglichkeit, sich darauf einzulassen. 

Jesus bleibt Gott und den Menschen verbunden
Jesus Christus kann darin Vorbild sein. Er hat die Verwiesenheit auf Gott selbstvergessen gelebt. Jesus ist der Mensch, der unbedingt liebt. Seiner Botschaft vom menschenfreundlichen Gott, bleibt er in seinem Leben, Reden und Handeln treu. Offen auf das Geheimnis hin, das er seinen Vater nennt, lebt Jesus hoffnungsvoll. Er bleibt Gott und den Menschen verbunden. Der unauslotbare, finstere Abgrund seines Lebens ist die bergende Hand des Vaters. Ihm überlässt er sich. Seinen Jüngern, die die Katastrophe Jesu am Karfreitag miterleben, wird existentiell offenbar, dass Jesus nicht untergegangen ist. Als der vom Geheimnis Gottes bergend Angenommene ist Jesus auferstanden. Die Auferstehung ist unvorstellbar. Denn sie ist das Wirken des unbegreiflichen Gottes, der den ganzen Menschen mit Leib und Seele endgültig rettet.

Jesus von Nazareth, das unüberbietbare Lebens- und Verheißungswort Gottes, begleitet und motiviert mich auf meinem Lebensweg, der auch das Dunkle, den Abgrund kennt. Mein Weg mit ihm geht über den Tod hinaus. In ruhiger Hoffnung kann ich gelassen Gott, das unbegreifliche Geheimnis annehmen. Ich kann mit Jesus, der endgültig vom Vater angenommen, gerettet ist, sterben und auferstehen. Das unvergängliche Leben, dem ich entgegengehe, beginnt schon hier und jetzt. Es ist aber nicht so sicher, dass das große bedeutende Stunden sind. Die Sternstunden des Lebens, in denen sich die Nähe des Geheimnisses bewahrheitet, können mir in Alltagssituationen entgegenkommen. 

Vor allen moralischen Lehren bestehen die Sendung, der Sinn und die Aufgabe der christlichen Gemeinschaft deshalb darin, dass der Mensch merkt: Er hat mit Gott zu tun. Dieses Geheimnis der Nähe des unbegreiflichen Gottes will sich ihm mitteilen.

Der Christ gewinnt seine Lebensenergie daraus, sich mit Jesus, in seinem Geist auf den väterlichen Gott einzulassen.

Im Foyer der Katholischen Hochschulgemeinde in Münster steht unter seinem Foto ein Zitat Karl Rahners: „Glauben heißt die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang auszuhalten.“

Heribert Körlings, Herzogenrath