Der letzte Apostel

Lesenswert

(c) Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Datum:
Di. 23. Apr. 2024
Von:
Jean-Pierre Sterck-Degueldre

Fik Meijer, Paulus. Der letzte Apostel, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2015. 329 S. 29,90 €. ISBN 973-3805349208.

Das Buch ist in der Diözesanbibliothek unter der Signatur 71855 entleihbar.

 

Wer war eigentlich dieser umstrittene Paulus, der mehr als fünfundzwanzig Jahre lang durch die östliche Mittelmeerwelt reiste? 

Wer war dieser Mann, der allen Widerständen und Hindernissen zum Trotz, von einer steten Unrast getrieben, den aus Israel stammenden Glauben von Tod und Auferstehung Jesu bis ins Herz des Römischen Reiches verkündet hat? Was waren allgemein die sozial-historischen Hintergründe sowie speziell die lokalgeschichtlichen Umstände, die das Wirken des Paulus‘ geprägt haben? Was wissen wir über seine Adressat*innen? Wie haben Umfeld und Prägung der Jesus-Sympathisant*innen Paulus´ Handeln und Botschaft beeinflusst?

Leicht verständliche Sprache

Die Beantwortung dieser Fragen erfolgt auf eine erzählerische Art, Exkurse mit Hintergrundinformationen zu geographischen, kulturellen und sozialen Gegebenheiten sind in die narrativen Passagen eingeflochten. Der niederländische Historiker, Altphilologe und Mittelmeer-Archäologe Fik Meijer bietet in seiner Monographie „Paulus. Der letzte Apostel“, die schon 2015 in deutscher Übersetzung erschienen ist, in leicht verständlicher Sprache ein fundiertes, spannendes, in manchen Aspekten jedoch nicht minder umstrittenes Paulus-Bild.

Nach einer Einleitung gibt Fik Meijer einen Überblick über biblische und außerbiblische Quellen, die seinen Ausführungen zu Grunde liegen. Zum einen zeigt sich der Althistoriker auf der Höhe der aktuellen Paulus-Forschung, betont er doch die Verwurzelung des Paulus im Judentum, dies auch nach dessen „Bekehrung“ zu Jesus als Christus: Paulus, ein Jude, für den die Tora eine immer bleibende Bedeutung hatte. Zum anderen vertritt der Autor eine Reihe von Thesen, die nicht dem Forschungskonsens entsprechen und vor allem mitunter etwas zu spekulativ sind. Es seien einige Beispiele angefügt:

(1) Tarsus in Kilikien als Heimat des Paulus stellt der Autor in Frage und zieht Gischala in Galiläa vor. (2) Das römische Bürgerrecht des Paulus erklärt Meijer mit der These, Paulus sei zusammen mit seinen Eltern in Gischala von den Römern gefangen genommen und als Sklave nach Tarsus verkauft worden. Später seien sie von ihrem Besitzer freigelassen und mit dem römischen Bürgerrecht versehen worden. (3) Das Damaskus-Erlebnis bzw. die „Bekehrung“ des Paulus sei kein plötzliches Ereignis, sondern vielmehr ein mit der Steinigung des Stephanus in Jerusalem beginnender, langwieriger Prozess gewesen, wobei Paulus zunehmend Sympathien für die die Christus-Anhänger*innen und die christliche Botschaft entwickelt habe. Die Vision auf dem Weg nach Damaskus sei ein „taktischer und brillanter Einfall“ (61), mit dem Paulus seine ebenbürtige Berufung und seine Autorität gegenüber den Aposteln und Jünger*innen festigen möchte, die Jesus Zeit seines Lebens kannten und von ihm persönlich berufen worden sind (54-63). (4) Auch habe z.B. eine chronische Erkrankung Paulus während seiner ersten Missionsreise dazu veranlasst, ins Gebirge nach Pisidien statt ans Meer zu reisen (89-91).

Folgt der Chronologie der Apostelgeschichte

Bei seinen Darstellungen folgt der Autor im Groben und Ganzen der Chronologie der Apostelgeschichte, die er m.E. zu wenig als literarisches bzw. als ein geschichtlich-theologisches Werk behandelt. So erklärt Meijer das in der Apostelgeschichte wiederholt geschilderte Wirken des Geistes zu Beginn der zweiten Missionsreise (z.B. Zickzack-Kurs durch Asia-Minor und das Traumbild eines Mannes in Troas, Apg 16,9) damit, dass Lukas an diesen Stellen keine genauen Informationen vorlagen und er die Reiseentscheidungen des Paulus sich nicht gut erklären konnte (110f.120f). M.E. inszeniert Lukas die göttlichen Eingriffe nicht aus Erklärungsnot, sondern stellt die Ausbreitung des Christentums im Imperium Romanum bis hin nach Rom und näherhin das Überqueren der Ägäis und die Mission in Makedonien als von Gott gewollt und seinem Geist geleitet dar.

Fik Meijer skizziert in seinem Buch Paulus als eine „komplexe Person mit ihren guten und schlechten Eigenschaften“ (10). Es macht den Missionar, Gründungsfigur des Christentums, sehr nahbar, wenn der Althistoriker dessen menschliche Schwächen hervorhebt und ihn als „stets rechthaberisch“ (203) bezeichnet: „Der kompromisslose Paulus war vollkommen überzeugt davon, dass seine Interpretation des Wortes Gottes die absolute Wahrheit war. Wenn Menschen eine andere Meinung vertraten, so fasste er dies als eine persönliche Beleidigung auf“ (187).

Kritisches, differenziertes Bild

Und hier liegt eine Stärke des Buches, das ein kritisches, differenziertes Bild einer bestimmt nicht immer eindeutigen Persönlichkeit mit positiven und negativen Seiten zeichnet. So auch der gewählte teils narrative Schreibstil, der die Vermittlung von Grundwissen und Quellenkritik wohldosiert kombiniert und den Leser*innen eine spannende Reise durch die Lebenswelt des Paulus ermöglicht. Die umfassenden kulturellen, historischen und archäologischen Hintergründe sowie die Einordnung der Vita des Paulus in die antike Umwelt machen den „Heidenapostel“ und wichtigen Theologen des entstehenden Christentums auch für heutige Leser*innen greifbar. Manche im Buch vertretene Positionen und Datierungen sind jedoch m.E. zumindest diskussionswürdig. Ein alles in allem lesenswertes Werk.

 

Fik Meijer (geb. 1942) ist Autor zahlreicher Bücher und Artikel über die Antike. Von 1992 bis 2007 war er Professor an der Universität von Amsterdam.


Jean-Pierre Sterck-Degueldre