Manfred Deselaers stellte am 19. September im Katechetischen Institut sein Buch „Die Wunde Auschwitz berühren“ vor.
„Ich tue eigentlich nicht viel, sondern sitze einfach nur da und warte.“ Manfred Deselaers, 1983 in Aachen zum Priester geweiht und heute Seelsorger in Oświęcim, an der „Schwelle zu Auschwitz“, macht nicht viel Wirbel um seine Arbeit. Bei allem Augenzwinkern ist es ihm ernst damit, wie er bei seinem Besuch im Katechetischen Institut erläutert. Das Zentrum für Dialog und Gebet, in dem er seit über 30 Jahren arbeitet, ist Anlaufstelle für unzählige Menschen, vor allem Schülerinnen und Schüler, die die Gedenkstätte Auschwitz auf je andere Art erleben und mit unterschiedlichsten Bedürfnissen in das Zentrum kommen.
Denn für Polen, so Deselaers, habe der Ort eine völlig andere Bedeutung als für Juden oder für Sinti und Roma. Und für Deutsche wieder eine andere. Zuhören sei daher das Wichtigste. Man dürfe den Besucherinnen und Besuchern keineswegs ein fertiges, immer gleiches Programm anbieten, sich auch nicht aufdrängen, sondern sich ihnen als Gesprächspartner anbieten, ganz zurückhaltend, durch die bloße Anwesenheit.
Deselaers ist aber nicht nur ein sensibler Zuhörer, sondern auch ein Erzähler, der das Auditorium fast zwei Stunden lang in seinen Bann zu ziehen weiß. Im Gespräch mit den beiden Moderatoren, Stefan Voges (pax christi) und Alexander Schüller (Katechetisches Institut), schlägt er in seinen Antworten große Bögen, verknüpft seine tägliche Arbeit mit Schlüsselerfahrungen und kommt dabei auch auf die wichtigsten Stationen seines Weges von Deutschland nach Polen zu sprechen, ohne allerdings die eigene Person allzu sehr in den Vordergrund zu rücken.
Ausführlich berichtet Deselaers auch von den zentralen Erkenntnissen seiner Doktorarbeit über den berüchtigten Lagerkommandanten Rudolf Höß, dessen Biographie er Ende der 1990er Jahre aus theologisch-anthropologischer Perspektive untersucht hat. Zusätzlich zu den 15 Gesprächen, die sein aktuelles Buch „Die Wunde Auschwitz berühren“ enthält, entsteht so ein 16. Gespräch, in dem die Zuhörerinnen und Zuhörer manches erfahren, was nicht in seinem Buch zu lesen ist. So etwa, dass ihm als Priester in Oświęcim die Eucharistie wichtiger denn je geworden sei: „Das ist mein Leib für Euch. Das ist mein Blut für Euch. Jesus gibt sich für uns hin.“ Welche Botschaft gerade an diesem Ort, betont Deselaers und streckt den Anwesenden zeichenhaft die Hände entgegen.
Eindrücklich auch seine Schilderung eines einschneidenden Erlebnisses: Beim ersten Anblick der Haarberge in Auschwitz sei ihm das Unrecht der Nationalsozialisten derart konkret geworden, dass ihn Gefühl der Verantwortung seither nie mehr verlassen habe. Wie man dieser Verantwortung hier in Deutschland gerecht werden könne, möchte eine Zuhörerin wissen. Deselaers’ Antwort fällt kurz und prägnant aus: Entscheidend sei es, Orte zu schaffen, an denen sich Menschen begegnen, an denen sie einander zuhören und sich verstehen lernen können.
Zu einem solchen Begegnungsort ist das Katechetische Institut in Kooperation mit pax christi an diesem Abend geworden. „Wie schön“, so KI-Leiter Alexander Schüller, „dass wir heute Abend keine klassische Lesung erlebt haben, sondern ein vielschichtiges Gespräch. Und wie schön, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach der Veranstaltung nicht sofort auseinander gegangen sind, sondern die Begegnung gesucht haben, die ausgestellten Bestände der Religionspädagogischen Medienstelle zu Judentum, Antisemitismus, Kirche und Nationalsozialismus etc. studiert und am Bücherstand des Domshops das ein oder andere Buch erworben haben, um die Eindrücke der heutigen Veranstaltung zu vertiefen. Denn das Eintreten für die Unantastbarkeit der menschlichen Würde beschränkt sich nicht auf einen einzigen Abend.“