Stefan Walser (Hg.): Fehlt Gott? Eine Spurensuche. Ostfildern: Matthias Grünewald Verlag 22024. 148 S., 20,00 €; ISBN 978-3-7867-3337-9.
Das Buch ist in der Diözesanbibliothek einsehbar und ausleihbar.
Der Titel des Buches weist auf interessante, aktuelle Probleme hin, denen sich sieben Autoren aus unterschiedlichen Perspektiven stellen: Gott ist für immer weniger Menschen in unserer heutigen Gesellschaft selbstverständlich. Bei der Frage danach, ob er fehlt, kann man unterschiedliche Akzente setzen. Diese stellt der Herausgeber des Buches in der Einleitung kurz vor, verbunden mit dem Namen des jeweiligen Autors.
Die Spurensuche beginnt mit dem Fragen. Dessen Bedeutung und unterschiedlichen Inhalt stellt Paul Deselaers mit anschaulichen literarischen Bezügen heraus. Auch die biblische Überlieferung erzählt selbstverständlich davon.
Margareta Gruber führt die vier Bilder aus dem Markusevangelium: Taufe, Verklärung, Kreuzestod und Auferstehung als Weg der Nähe und der Ferne zwischen Vater und Jesus vor Augen. Ihm nachzufolgen, heißt an seiner Gottesbeziehung teilzunehmen. Damit ist der mystische Aspekt der Nachfolge gekennzeichnet. Diese existentielle Dimension geht dem ethischen Aspekt, der Nachfolge im alltäglichen Handeln voran, das die Botschaft Jesu umsetzt.
Das Schweigen Gottes erfahren
Gerade spirituell engagierte Menschen erfahren in ihrem Leben auch das Schweigen Gottes. Unterschiedlichen Manifestationen dieser Erfahrung der Gottesverdunkelung geht Klaus Kleffner mit Bezug auf Johannes vom Kreuz und drei Stellen aus den beiden Korintherbriefen des Paulus nach. Vor Damaskus vom Gotteslicht geblendet, nachtblind, sieht sich Paulus dazu gedrängt, das Evangelium zu verkünden. Den Korinthern teilt der Prediger seine Leiden und Freuden, Stärken und Schwächen mit. Damit fordert er die Starken in der Gemeinde dazu auf, auf die Schwachen Rücksicht zu nehmen. Die Erfahrung der Dunklen Nacht bei Johannes vom Kreuz kann als Selbstverkündigung Gottes an den suchenden Menschen gesehen werden. Diese Erfahrung an- und auszusprechen kann Verkündigende und Adressaten entlasten. Auf dem Glaubensweg auch die Gottferne zu erleben und zuzulassen, könnte die Chance beinhalten, Gott um seiner selbst willen zu lieben.
Gott ist weg. In Anknüpfung an die Religionskritik stellt sich Jürgen Werbick dieser Situation. Es geht darum, Gott draußen, jenseits des Gewohnten zu suchen. Wer immer neu versucht, sein Anklopfen zu hören, blickt anders auf die Wirklichkeit, vertraut Gott, der sich nicht brauchen lässt. Gott betreibt kein Versteckspiel, sondern fordert heraus, ihn in den Alltag hineinzulassen, wozu auch gehört, dass man wie die Jünger angesichts der Verborgenheit Gottes und der Fremdheit des auferstandenen Christus auf dem Weg nach Emmaus ratlos ist. Aber hier kann Einsicht und Aufbruch geschehen, mit und zu den Menschen. Unter ihnen wird man dem Herrn der Kirche begegnen. Diese ist glaubwürdig, wenn sie Gott sucht, es wagt, solidarisch mit den Mitmenschen in ihren unterschiedlichen Lebenssituationen mitzusuchen und mitzufühlen.
Der Sprache des Glaubens neu begegnen
Martin Rohners religionsphilosophischer Beitrag über die Zerbrechlichkeit des Gottvertrauens fragt zunächst, wie sich das Fehlen Gottes zeigt: deistisch, atheistisch, agnostisch und fundamentaltheologisch, letzteres im Sinn der Verborgenheit Gottes: Der Gottesglaube ist nicht selbstverständlich. Wie kann man existentielle Erfahrungen als Transzendenzerfahrungen verstehen? Die Voraussetzung dafür besteht in einem Dialog zwischen Existenzphilosophie und Kulturtheologie: Der Sprache des Glaubens kann man neu begegnen, wenn man Sinnerfahrungen und Sehnsuchtsbilder der Zeitgenossen versteht. Der verborgene Lebensglaube von Menschen macht Möglichkeiten bewusst, die Glaubenssprache neu zu artikulieren. Diese wird dann überzeugen, wenn sie angesichts der Zerbrechlichkeit gegenwärtiger religiöser Existenz ihre eigene Unsicherheit zeigt.
Hans Joachim Höhn geht es in seinem Beitrag „Ausgeliebt? – oder: wie Gott zu Tode geglaubt wird.“ um die fatalen Auswirkungen einer Glaubensverkündigung, die es mit ihrem Sprechen vom lieben Gott gut meint, aber das Gegenteil von gut ist. Als religiöse Dublette eines romantisch - kitschigen Liebesideals dient das Reden vom lieben Gott gegen seine Absicht lediglich dazu, mangelnde zwischenmenschliche Anerkennung auszugleichen. Die Sackgasse eines solchen Glaubens an den lieben Gott zeigt sich unabweisbar angesichts von Krisen und Leiden, die auch Glaubenden nicht erspart bleiben, was sich zum Beispiel während der Coronapandemie zeigte. Darum ist es Zeit, an die Einsichten der negativen Theologie zu erinnern. Mit Bezug auf Dietrich Bonhoeffer: Ein Leben vor Gott erspart uns nicht, in der Welt ohne ihn zu leben. Wir können nicht auf ihn zugreifen, nicht mit seinem Eingreifen rechnen. Die frommen Klischees und kitschigen Gottesbilder halten der Wirklichkeit nicht stand. Weggeräumt öffnet sich ein neuer Blick für die Beziehung zwischen Gott und Mensch. Metaphorisch kann man von Gott als dem Horizont sprechen, vor dem man lebt.
Der Herausgeber Stefan Walser macht im abschließenden Beitrag des Buches bewusst: Dass Gott fehlt, fordert in der Predigt den vorsichtigen Umgang mit diesem Wort. Gott erklären zu wollen, wäre ähnlich wie einen Witz zu erklären. Stattdessen meditiert Predigtstil und Predigtsprache als poetische Rede die biblischen Texte, bewegt sich in ihnen. Die Predigt wird zur künstlerischen Tätigkeit. Sie findet kreativ Worte, um Erfahrungen zu ermöglichen, in denen Gott vorkommt.
Die vielfältigen interessanten Beiträge mit ihren unterschiedlichen Zugängen zum Thema sind als ganze oder in Textausschnitten nicht nur für das religiöse Gespräch und den Unterricht besonders geeignet. Sie können außerdem persönliche Fragen anstoßen und Überlegungen in unterschiedlichen Diskussionen mit skeptischen Zeitgenossen vertiefen.
Das lesenswerte Buch motiviert eindrücklich zur Spurensuche.
Heribert Körlings