Schreiben oder Lesen - „Ich würde mich für das Lesen entscheiden.“ 

Denkwürdig

(c) Frederic Marquet
Datum:
Di. 27. Aug. 2024
Von:
Alexander Schüller

Im Februar 2009, als Judith Hermann zum letzten Mal in Aachen gelesen hat, musste die Lesung wegen der großen Ticketnachfrage in die „Klangbrücke“ verlegt werden. Mehr als 15 Jahre später ist das Interesse an ihrer Person, an ihren Romanen und Erzählungen und selbst an ihrer neuesten Veröffentlichung, deren Gattungsbezeichnung „Poetikvorlesung“ nicht gerade eine süffige Lektüre zu versprechen scheint, ungebrochen – wie die erneut große Ticketnachfrage belegt.

Vor ausverkauftem Haus las Judith Hermann am 1. Juli im KI aus dieser Poetikvorlesung, die 2023 unter dem Titel „Wir hätten uns alles gesagt“ im Fischer-Verlag erschienen ist und viele biographische Hintergründe zu ihren Büchern bietet. Das Publikum, zu dem auch einige Studierende der RWTH gehörten, die sich mit Judith Hermanns Buch in einem Seminar befasst hatten, zeigte sich sehr angetan von der ruhigen und doch soghaften Art Ihres Vorlesens und den kurzen, aber perspektivreichen Erläuterungen zu den klug ausgewählten Textpassagen, die das Zuhören zum Erlebnis machten.
Spannend und anregend waren darüber hinaus die beiden Gespräche zwischen den Leseblöcken. Im ersten Gespräch antwortete Judith Hermann auf einige Fragen, die Daniela Blum, Theologin an der RWTH Aachen und Mitorganisatorin der Lesung, und KI-Leiter Alexander Schüller an sie richteten. Sie zeigte sich dabei überraschend offen und verriet z.B., dass sie sich lange und gründlich überlegt habe, ob sie so viel Persönliches preisgeben wolle, wie sie es in ihrem Buch getan habe. Sehr ausführlich umkreiste sie einen der zentralen Gedanken ihres Buches: dass das Eigentliche in ihren Texten verschwiegen werde – ein Gedanke, der nicht nur die Studierenden an mystisches Sprechen erinnerte und der sehr schön in einigen der gelesenen Passagen zum Ausdruck gebracht wurde. Im zweiten Gespräch, das durch Axel Schneider, den Vorsitzenden der Walter Hasenclever-Gesellschaft, souverän moderiert wurde, ging Judith Hermann auf Fragen des Publikums ein und ließ Erstaunliches durchblicken: Wenn sie sich zwischen Schreiben und Lesen entscheiden müsste, so Judith Hermann, würde sie sich zweifellos für das Lesen entscheiden. Gerne verwies sie in diesem Zusammenhang auf Alice Munro und Claire Keegan, deren Texte für ihre Arbeit eine stetige Inspirationsquelle darstellen. 

Nach der Lesung, die mit reichlich Applaus und den unvermeidlichen Aachener Printen bedacht wurde, erklärte sich Judith Hermann gerne bereit, ihre Bücher zu signieren. Das Publikum machte von diesem Angebot reichlich Gebrauch; ein Teilnehmer, der mehr als 250 Kilometer gefahren war, um an der Lesung teilzunehmen, hatte sogar etliche Erstausgaben mitgebracht.

Wir sind sehr froh, eine so wunderbare Schriftstellerin wie Judith Hermann im KI zu Gast gehabt zu haben. Wir danken den Institutionen, ohne die die Lesung nicht möglich gewesen wäre: dem Lehr- und Forschungsgebiet Kirchengeschichte am Theologischen Institut der RWTH Aachen und der Walter-Hasenclever-Gesellschaft. Danken wollen wir auch der Buchhandlung „Das Worthaus“ in Aachen-Burtscheid, die z.T. den Kartenverkauf übernommen und wieder einen gut sortierten Büchertisch zusammengestellt hatte, auf dem alle Teilnehmer*innen fündig werden konnten. Eine Studentin fasste ihren Gesamteindruck so zusammen. Das war die erste Lesung, an der ich teilgenommen habe, aber sicher nicht die letzte. Bleiben auch Sie gespannt, welche hochkarätige Schriftstellerin uns im nächsten Jahr die Ehre geben wird.


Alexander Schüller