Religion auf Instagram

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(c) Herder
Datum:
Mi. 9. Okt. 2024
Von:
Alexander Schüller

Viera Pirker, Paula Paschke (Hg.): Religion auf Instagram. Analysen und Perspektiven. Freiburg: Herder Verlag 2024, 390 Seiten, 38,00 €; ISBN 978-3-451-39626-7.

Das Buch ist in der Diözesanbibliothek unter der Signatur 72295 entleihbar.


Es soll nicht zu „churchy“ sein. Mit dieser Vorgabe starteten Gemeindereferentin Michelle Engel und Pfarrer David Grüntjens 2019 den Instagram-Kanal Frengels&Chef (@diokirche_krefeld). Ihre Beiträge zogen mit der Zeit etliche Menschen an, die mehr über den Alltag und die Zusammenarbeit der beiden wissen wollten oder ihnen Fragen zu religionsbezogenen Themen stellten. Im September 2024 verfügt Frengels&Chef über fast 44.000 Follower, darunter Menschen, die der Kirche den Rücken gekehrt haben oder anderen Konfessionen, sogar anderen Religionen angehören.

Der Kanal zählt somit zu den erfolgreichsten religionsbezogenen Angeboten auf Instagram, das von Millionen Deutschen täglich genutzt wird und die öffentliche und private Kommunikation tiefgreifend verändert hat. Dennoch ist die Plattform – anders als Facebook und YouTube – bisher nur selten in den Fokus der theologischen, zumal der religionspädagogischen Forschung gerückt. Dem versucht ein Sammelband abzuhelfen, der von den Frankfurter Religionspädagoginnen Viera Pirker und Paula Paschke herausgegeben wurde. Der Band enthält die Beiträge des Frankfurter Fachgesprächs aus dem Jahr 2023, ergänzt um eine Reihe weiterer Aufsätze, die in vier Teilen systematisch geordnet sind: Plattform, Content, User und Praxis. In den Blick genommen werden sowohl die Plattform als auch einzelne Accounts wie @liebezurbibel oder #instalehrerzimmer. Darüber hinaus werden Forschungsmethoden vorgestellt, erprobt und problematisiert wie z.B. die teilnehmende Beobachtung. Bei den Beiträgern handelt es sich in der Mehrzahl um katholische und evangelische Theologen, einzelne Aufsätze stammen aber auch von Religions- und Medienwissenschaftlern, Sozialwissenschaftlern und anderen. Die Vielfalt der Perspektiven, unter denen die Autoren Instagram als „zentrales Instrument der Medienarbeit“ (S. 9) erkunden, ist eine der Stärken des Bandes, der mit etlichen interessanten Befunden aufwartet.

Strategien des Erzählens nutzen
Der grundlegende Aufsatz im ersten Teil „Plattform“ stammt von Viera Pirker, die den Community-Account @instagram auf religionsbezogene Inhalte und deren Sichtbarkeit hin untersucht und dabei einen nützlichen Überblick über jene Accounts gibt, die aktiv und personenbezogen religiös kommunizieren. Ihr Fazit: Auch wenn Religionen (Christentum, Islam, Hinduismus) nur sporadisch, aber nicht zufällig thematisiert werden (z.B. anlässlich von religiösen Feiertagen, wie auch Markus Brodthage mit Blick auf die Accounts der Topinfluencer herausarbeitet), lässt sich zeigen, dass die Creatoren digitale Bildkulturen und Strategien des Erzählens nutzen, um Person und Botschaft sichtbar zu machen, ja um sich ihren Followern als Orientierungsfiguren anzubieten. Die weiteren Beiträge des ersten Teils konzentrieren sich nicht alle ausschließlich auf Instagram. Anna Puzio z.B. nutzt Instagram als Diagnoseinstrument und fragt – jetzt nicht mehr auf Instagram begrenzt - nach der Bedeutung digitaler Themen und Trends für anthropologische Diskurse.

Der Körper wird auf Instagram zur Interaktionsfläche

Angelehnt an den Neuen Materialismus, plädiert sie dafür, die Themen Technik, Körper/Körperoptimierung und Umwelt/Beziehung zu nichtmenschlichen Entitäten digital-anthropologisch künftig stärker zu bearbeiten. Anna Neumaier skizziert die Möglichkeiten und Grenzen digitaler Ethnographie und Religionsforschung in „digitalen Kontexten“ und berücksichtigt dabei punktuell, aber ohne Beispiele auch Instagram. Rebekka Burke, Laura Mößle und Lena Tacke zeigen, dass der Körper auf Instagram zur Interaktionsfläche werde, einschrieben in eine Erzählung und/oder Inszenierung, die die Suche nach Singularität öffentlich dokumentiere. Ähnlich wie Pirker stellen die Autorinnen dieses ebenso theoretisch wie praktisch ertragreichen Beitrags klug ausgewählte Beispiele (hier der Gattung „Protestbild“) vor.

Instagram kann zum "Lernort kirchlich-lehramtlicher Transformation“ werden

Im grundlegenden Aufsatz des zweiten und umfangreichsten Teils „Content“ machen sich Wolfgang Beck und Leopold Kohlbrenner dafür stark, die theologische und anthropologische Reflexion digitaler Bildkulturen zu vertiefen. Denn ihrer Ansicht nach genügt es nicht mehr, in Instagram nur ein probates Mittel für die kirchliche Verkündigung oder ein attraktives religionspädagogisches Forschungsfeld zu sehen; die Plattform sei vielmehr ein „locus theologicus alienus“, der traditionelle Sender-Empfänger-Modelle ebenso hinter sich lasse wie intransparente Hierarchiegefüge und die individuelle Identitätsarbeit auf dezentrale Überwachungsmechanismen ausrichte. Auf diese Weise entfalte Instagram eine „heilsam destabilisierende Wirkung“ und könne zum „Lernort kirchlich-lehramtlicher Transformation“ werden (S. 200). Vor allem die digital-bildliche Erfahrung der „Fernanwesenheit“ könne für die Begegnung mit Gott durchsichtig werden und zugleich das Gefühl einer allzu raschen Verfügbarkeit des Heiligen konterkarieren. Ein weiteres Feld für die theologische und pädagogische Reflexion markiert Florian Mayrhofer: Es ist die Erforschung des Digital Storytelling. Alle übrigen Beiträge des zweiten Teils widmen sich mittelbar oder unmittelbar gerade diesem Digital Storytelling, entweder indem sie ausgewählte Gruppen von Influencern und ihre Stories analysieren, etwa Glaubensinfluencer (Sabrina Müller), Top-Influencer (Markus Brodthage), muslimische Akteure (Kirsten Wünsche, Antonia Hafner, Tessa von Richthofen), oder indem sie sich Angeboten für bestimmte Adressaten widmen wie Ehepaaren (Gero Menzel). Dabei wird deutlich, wie wichtig das Wechselspiel zwischen Person und Inhalt ist. Religiöse Kommunikation und gelebtes (z.T. als vorbildhaft inszeniertes) Leben sind auf Instagram nicht zu trennen, und die je individuelle, öffentlich inszenierte Stimmigkeit zwischen Person und Inhalt ist, wie Gero Menzel nachweist, die Grundlage einer Form von Autorität, die den Social Media gemäß ist: dem Charisma. Besonders spannend ist der Paradigmenwechsel, den Christine Wenona Hoffmann in ihrem Aufsatz über #ansprechbar herausarbeitet. Die Aufmerksamkeit liege hier nicht bei den Seelsorge-Empfangenden wie bei herkömmlichen Angeboten, sondern bei den Seelsorgenden selbst, deren Erzählungen in Kommentaren, Reaktionen oder Privatnachtrichten aber seelsorgerische Wirkung entfalten könnten. 

Unverbindliche Netzwerke für spirituelle Erfahrungen

Im dritten Teil werden exemplarisch die User in den Blick genommen, so die religiös kommunizierenden Jugendlichen im Großraum Wien, denen sich das Projekt Young Believers Online widmet (Christoph Novak u.a.). Daniel Hörsch arbeitet in seinem Beitrag summarisch heraus, was für viele dieser Communities auf Instagram gilt. Es handelt sich um eher unverbindliche Netzwerke, die als Resonanzraum für Glaubensäußerungen oder spirituelle Erfahrungen dienen. Spannend ist, dass diese Äußerungen und Erfahrungen – so Caroline Sosna – im Falle von @liebezurbibel, dem Account der Theologiestudentin Jasmin Neubauer, sowohl charismatisch beglaubigt als auch als Wegmarken eines persönlichen Lernprozesses ausgewiesen sind. Am Beispiel von #outinchurch zeigt Paula Paschke, wie bedeutsam der digitale Raum und zugleich die strategische Verknüpfung analoger und digitaler Medien für die Öffentlichkeitswirksamkeit der Initiative gewesen sind. Abschließend arbeitet Knut V. M. Wormstädt heraus, dass auf Instagram zwar kaum zwischen katholisch, lutherisch oder christlich unterschieden werde, denominationelle Marker aber etwa an der Kleidung oder in den dargestellten Praktiken auffindbar sein können; ihre Dekodierung setze indes ein Wissen voraus, das nicht mitgeliefert werde.


Der abschließende Teil des Bandes lässt die Producer und Akteure selbst zu Wort kommen. Ausgewählt wurden von den Herausgeberinnen @faithpwr, das yeet-Netzwerk, ruach.jetzt und #instalehrerzimmer. In den Beiträgen, die erfreulich selten nach PR klingen, werden Erkenntnisse aus der Praxis gezogen oder neue Zielgruppen für Angebote benannt wie die Glaubensnahen und Kirchenfernen, an die sich ruach.jetzt adressiert, oder die Lehrer*innen, die sich über das #instalehrerzimmer vernetzen können – eine Möglichkeit, die nach Kathrin Termin ein fatales Manko in der dritten Phase der Lehrerbildung zu beheben vermag: die mangelnde strukturelle Verankerung des kollegialen Austauschs.

Zahlreiche wegweisende Anregungen

Insgesamt bietet der Band zahlreiche wegweisende Anregungen für die weitere theologische und religionspädagogische Auseiandersetzung mit Instagram und markiert zugleich das Niveau, auf dem sich die theologische Erforschung der Social Media künftig zu bewegen hat. Es lässt – nicht zuletzt – verstehen, warum der Krefelder Instagram-Kanal so erfolgreich ist. Denn der Schlüssel zeitgemäßer Glaubenskommunikation, so Lisa Menzel und Tobias Sauer, liegt in der individuellen Kompetenz der Creatoren, religiös authentisch, thematisch kompetent und sprachlich allgemeinverständlich zu sprechen. Dass diese Form der Glaubenskommunikation nicht allzu „churchy“ ist und sein sollte, machen die Beiträge dieses religionspädagogischen Pionierwerks deutlich.

Alexander Schüller

 

Die Rezension erscheint demnächst online auch in Eulenfisch Literatur. Zahlreiche weitere Besprechungen zu relevanten Titeln aus Theologie, Bibel, Religionspädagogik, Kirche, Kunst/Literatur und andere Religionen finden Sie in den bereits erschienen Ausgaben des Literaturmagazins, etwa unter:

https://www.eulenfisch.de/literatur/literaturmagazin/literaturmagazin-01-2024/