Anmerkungen zur bemerkenswerten neuen CD von Carolin No:
"Nach dem begeisternden und umjubelten Konzert am 19. April 2024 in Aachen (s. letzter Newsletter) haben Carolin und Andreas Obieglo ihre lang ersehnte neue CD „ON&ON“ veröffentlicht. Rainer Oberthür hat sie mit offenen Ohren und großem Staunen gehört und erzählt davon. Das Album ist berührend und inspirierend – auch für den Religionsunterricht!
„Weiter, immer weiter, on & on & on - wohin genau die Reise geht, wer weiß das schon!“ Carolin und Andreas Obieglo sind viel unterwegs: auf Autobahnen und auf Lebenswegen. Aus dem, was sie dort er-fahren und er-leben, erschaffen sie Lieder. Nun ist die Lebensreise das Leitmotiv ihrer neuen Studio-CD ON&ON: ein Konzeptalbum durch und durch, mit Vorspielen, Nachklängen und grandiosen instrumentalen Übergängen, eine einzigartige Roadmap des Lebens, intensiv und verdichtet wie nie zuvor in ihrem immer schon außerordentlichen Liedschaffen. In 15 Lied-Etappen richten sie den Blick auf die Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft mit all ihrer Ungewissheit und Zerbrechlichkeit, aber immer mit Zuversicht und Hoffnung.
Die Wege durch das Auf und Ab des Lebens
Es ist eine CD mit vielen Geschichten hinter den Liedern, die ich hier nur umkreisen kann. Mit Dynamik und Wucht, gerahmt von einer geheimnisvoll pulsierenden „Einleitung“ und einem mächtig treibenden „Nachspiel“ beginnt die Reise: Das titelgebende „On&on&on“ beschreibt in unzähligen Metaphern, oft atemlos, dann wieder ruhig, die Wege durch das Auf und Ab des Lebens. Wir begleiten die beiden „auf dem Pfad der Hoffnung, auf der Straße des Lichts / über Berge von Sorgen durch die Täler des Nichts“ … halten ein, halten aus, in der „Oase des Augenblicks“, durchschreiten die „Höhen der Freude“ und die „Tiefen der Traurigkeit“, gehen aus dem „Labyrinth der Lügen zu der einen Wahrheit“ und viele Strecken mehr in atemberaubendem Tempo. Dabei werden zentrale Themen des Albums angetippt und gegen Ende heißt es, „im ewigen Eis der Gleichgültigkeit finden sich die Spuren der Vergänglichkeit und an den Grenzen öffnen sich die Schranken einen neuen Zeit“.
Das ausgelassene „Einfach so nach irgendwo“ beschreibt mehr als nur einen Urlaubsausflug. Es ist die liedgewordene Unbeschwertheit. Besungen wird auch das Glück des Ungeplanten im Leben. „Wenn ich es mir so überleg‘ / liegt uns ein Ziel doch nur im Weg, / lass uns geh‘n, lass uns geh‘n!“ So wird das Lied eine Feier der Bewegung und der Gegenwart.
Federleicht eingeleitet besingt „Seite 2“ im Rückblick in die Musikgeschichte überraschende Welterfolge von Liedern, die zunächst auf der ungeliebten B-Seite von Single-Schallplatten landeten. Zugleich ist es auch zu hören als eine Ode an das Unerwartete und Nicht-Machbare, an Hoffnung und Geduld mit den unscheinbaren Rückseiten des Lebens, wenn es im Refrain mehrfach heißt: „Wahre Liebe kennt auch Seite 2“.
Was bleibt, wenn sich alles ändert?
„Die Straßen der Vergangenheit“ fragt im Samba-Rhythmus nach dem, was bleibt, wenn sich alles ändert, und lässt die Erfahrungen der Kindheit lebendig und sehnsuchtsvoll aufscheinen. Hier schwingt mit, dass alles anders hätte kommen können. Solche Kontingenzerfahrungen im Leben, das sich einfach so ereignet, doch oft mehr als zufällig erscheint, das vergeht und endlich ist, sind unumgänglich und letztlich Grund für Sorge und Neugier, für Leid und Freude.
Nach der nachdenklichen „Klaviermusik in Eb“ erweist sich im nächsten Lied das Leben immer wieder als „Spiel auf Zeit“, in dem wir unvermeidbar erfahren: „Das Leben gibt, das Leben nimmt …“ Bei diesem Drahtseilakt gibt es trotz allem Schweren nur eine Richtung: Blick nach vorn, Schritt für Schritt! So endet diese berührende Ballade, ein weiterer Höhepunkt auf der CD, mit der Ermutigung: Das Leben nimmt seinen Lauf, gibt nicht auf!
Beschwingt mit Banjo und Geige geht es weiter mit „Meine Revolution“, die gar keine ist, sondern immer mit dem beginnt, was ich ändern kann: egal ob es um meine Wege und Ziele, meinen Glauben und meine Zweifel, meine Antworten und Fragen geht, um Sinn oder Schuld, Definitionen von Wichtig, Falsch und Richtig, um Ängste und Staunen, Moral und Ideal und vieles mehr. Das ist nicht nur ungemein realistisch, sondern auch gesellschaftlich aktuell: „Nur der Einzelne verändert die Welt“ (Marica Bodrožić). Im Anerkennen unserer Verwundbarkeit können wir erst als Einzelne und dann gemeinsam mehr Menschlichkeit erlangen. Die verschlungenen Wege, Umwege und Wendungen spiegelt Andis verwegene Klavierimprovisation in „Encore III“ wider.
Der Blick richtet sich auf das letzte Geheimnis am Lebensende
Zutiefst berührend ist es, wie auf der „Schlussgeraden“ der CD in „Himmelspforten“ und dem sich anschließenden „Nachklang“ zur Frage nach dem Tod und dem Danach Zweifel und Zuversicht, Ungewissheit und Hoffnung zusammenkommen. Der Blick richtet sich nun auf das letzte Geheimnis am Lebensende. Im mystisch geheimnisvoll, dunkel treibenden „Himmelspforten“ singt Andi im heimisch-bayrischen Dialekt von der Möglichkeit, dass am Ende alles vorbei ist, dass nichts einen Sinn hat, dass aller Glaube nicht stimmt. Dieses Geheimnis wird nicht aufgelöst und im Warten ausgehalten, bekommt aber eine Hoffnungsschimmer, sowohl wuchtig am Ende mit einem von Caro in höchste Höhen getriebenen Gesang, als auch sanft im ruhigen „Ausklang“, in dem Andi gute Gründe besingt, warum noch niemand zurückgekommen ist. So ist das Album im Hin und Her von Sorge und Freude im Leben letztlich ein Loblied auf die Unverfügbarkeit im Leben.
Diese Hoffnung auf ein gutes Ende in Frieden kommt abschließend in den lateinischen Worten von „Da pacem“ sowie musikalisch durch die Wiederaufnahme des Anfangsmotivs von „On&on&on“ zum Ausdruck. Auch jetzt noch kann es weitergehen! Mit diesem Lied endet eine unvergleichliche musikalische Lebensreise im Angesicht der Fragilität des Lebens und unserer Endlichkeit auf der Erde tröstlich mit einer Glaubensbitte und -botschaft, die Gegenwart und Zukunft umfasst: Verleih uns Frieden in diesen Tagen!
Eine Musikanalyse liegt mir als leidenschaftlich hörender Musik-Laie nicht. In jeder Sekunde unüberhörbar aber wirken die ausgefeilten Kompositionen, die zugleich komplex und zugänglich sind und auch nach vielfachem Hören neue Entdeckungen von kleinsten Details ermöglichen. Caro ist mit ihrer unvergleichlichen Stimme zugleich äußerst aktiv an perkussiven Instrumenten, am Glockenspiel und Akkordeon. Andi bringt uns ein ums andere Mal als genialer Pianist und Gitarrist zum Staunen und sorgt für handgemachte elektronische Hintergründe, mal mit geheimnisvollen Stimmungen, mal mit viel Drive. Dazu setzen Christiane Seeger (Geige), Chris Adam (Gitarre) und Marianne Weißenberg (Caros Mutter) am Tenorhorn berührende Akzente.
ON&ON ist in seiner Dichte, seinem perfektem Klang und seiner musikalischen wie textlichen Vielfalt in Zeiten der schnellen Verfügbarkeit jeder Musik ein Kontrapunkt zum schnellen Streamen und unverbindlichen Reinzappen. Auch wenn die CD für sich stehende Lieder von ausgelassener Freude, berückender Schönheit und Tiefe enthält, will sie als Soundtrack des Lebens von Anfang bis Ende vergegenwärtigt werden. Auf ON&ON können wir mit Caro und Andi wie in einem Roadmovie auf die Reise durch das mal traurige, mal wunderbare Leben gehen. Doch Worte können weder das Leben noch dieses Meisterwerk erfassen. Dieses Album muss man hören - auf geht’s!
ON&ON ist erhältlich auf dem Marktplatz von www.carolin.no .
Rainer Oberthür