Nie wieder? Schon wieder! Alter und neuer Antisemitismus

(c) Herder
Datum:
Fr. 14. Juni 2024
Von:
Heribert Körlings

Michael Wolffsohn: Nie wieder? Schon wieder! Alter und neuer Antisemitismus. Freiburg: Herder Verlag 2024, 96 S., 12 €; ISBN 978 – 3 – 451 – 07239 – 0.

Das Buch ist in der Diözesanbibliothek unter der Signatur 72 371 ausleihbar.


In seiner aufrüttelnden Streitschrift plädiert Michael Wolfssohn angesichts des wieder wachsenden Judenhasses für eine Veränderung des Zusammenlebens in der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft.

Zwischenmenschlich ist dem Antisemitismus die funktionale Toleranz, d.h. die Einhaltung allgemein akzeptierter Normen im Sinne von Verkehrsregeln entgegenzusetzen. Damit ist die praktikable Basis gegeben, die alle akzeptieren können. Damit diese verbindlichen Normen durchgesetzt werden, fordert der Autor die im Staat Verantwortlichen eindringlich dazu auf, für die Sicherheit aller Bürger zu sorgen, auch durch vermehrte Polizeipräsenz.


Das Übel, das jüdisches Leben in Deutschland gefährdet

Wolffsohn kennzeichnet unmissverständlich das Übel, das das jüdische Leben in Deutschland gefährdet: Antisemitismus, vor allem des Islamismus und des Linksextremismus, sowie, an dritter Stelle, der deutschen Rechtsextremisten. Der Autor prangert die ritualisierte öffentliche Beschäftigung mit der Vergangenheit an, durch die eine persönliche Verbindung der Mehrheit zum Geschehenen nicht mehr erreicht werden kann. Gedenken wird zur Angelegenheit einer zunehmend schrumpfenden Gruppe von Bürgern in Deutschland. Das hat verhängnisvolle Folgen: Der Antisemitismus des radikalen Islam sieht sich von den blutleeren Erinnerungsritualen der bundesdeutschen Gesellschaft gar nicht betroffen. Er wird nicht erreicht. Migranten, Flüchtlinge sowie in Deutschland lebende Angehörige anderer Kulturen können sich vormachen, dass diese Rituale sie gar nicht betreffen. Ihr falsches Bewusstsein blendet die Wirklichkeit aus.
Dadurch verbreitet sich, auch in Deutschland, der islamistische Judenhass in seinen primitivsten und brutalsten Formen. Dazu tragen zudem die Ideologen und Meinungsmacher von linksextremer Seite, die sich selbst progressiv nennen, erheblich bei, indem sie Israel als die Kolonialmacht auf dem Gebiet Palästinas brandmarken. Auch das bereitet den Boden für das Gedankengut, das antijüdische Übergriffe provoziert, relativiert, rechtfertigt. 

 

Aus Illusionen aufwachen
Das staatliche und gesellschaftliche Bewusstsein für diese bedrohliche ideologisch-intellektuelle Gefahr muss unbedingt als in höchstem Maße defizitär entlarvt werden. Es gilt, aus Illusionen aufzuwachen, die leeren Rituale zu beenden, sich schonungslos dem Albtraum der gegenwärtigen Wirklichkeit für die jüdischen Mitbürger zu stellen .Die in den Medien Beschäftigten haben dabei zuallererst die Aufgabe und die Pflicht, die entsprechenden Fakten zu recherchieren, zu sammeln, zu analysieren.

 

Das Buch hilft zur Selbsterkenntnis

Der Autor stellt die brisante Situation und ihre Ursachen ohne Abstriche vor Augen, sieht aber die Bundesrepublik nach wie vor als das beste Deutschland an. In der Verbundenheit mit der deutschen Gesellschaft kann Wolffsohns besorgt formulierte, desillusionierende Diagnose aufklärungswilligen, einsichtigen Bürgern zur Selbsterkenntnis verhelfen, dem ersten Schritt zur Besserung.

Michael Wolffsohns konfrontative Ausführungen bleiben hoffnungsvoll und ermutigend, denn er widmet sein Buch allen, die „Herz und Verstand miteinander verbinden.“ 


Heribert Körlings (Herzogenrath)