Matthias Jügler: Maifliegenzeit. Roman. München: Penguin-Verlag 2024, 154 S., 22,00 €; ISBN 978-3-328-60289-7.
Das Buch ist im Belletristikregal der Religionspädagogischen Medienstelle einsehbar und kann auch ausgeliehen werden.
„Wo die Ungewißheit endet, sagte mein Vater, vor langer Zeit einmal, beginnt das Träumen.“ Der erste Satz von Matthias Jüglers neuem Roman „Maifliegenzeit“, der teilweise in der DDR spielt, sich aber bis in die Gegenwart hinein erstreckt, ist programmatisch. Der Roman ist voller Ungewissheiten und widmet sich einer der schrecklichsten nur vorstellbaren (Un-)Gewissheiten.
Es ist Mai 1978, Katrin und Hans sind seit fünf Jahren zusammen und freuen sich auf ihr erstes Kind, das Daniel heißen soll. Die Geburt in einem Leipziger Krankenhaus verläuft ohne Komplikationen. Doch dann der Schock: Das Kind, so die Ärzte, ist gleich nach der Geburt gestorben. Weder Katrin noch Hans bekommen Gelegenheit, den toten Säugling noch einmal zu sehen. Während Hans seine Trauer über Daniels Tod verarbeitet, indem er für ihn ein Grab im heimischen Garten aushebt, melden sich bei Katrin Zweifel. Bald ist sie gar davon überzeugt, dass man sie betrogen habe: Daniel lebt! Ist das Wunschtraum oder Wahrheit? Am Streit um diese Frage zerbricht die Beziehung. Katrin und Hans gehen ihre eigenen Wege, ohne dass sie Gewissheit finden könnten. Nach dem Ende der DDR gibt es aber plötzlich Mittel und Wege, die Frage nach Daniels Tod neu aufzurollen. Ist Daniel wirklich gestorben? Oder lebt er, ohne zu wissen, wer seine leiblichen Eltern sind?
Roman beruht auf historischen Ereignissen
Wie das knappe Nachwort zu erkennen gibt, basiert Jüglers dritter Roman auf historischen Ereignissen. Trotz des bedrückenden Themas kommt er sprachlich leichtfüßig, stellenweise geradezu poetisch daher. Besonders gelungen ist die Art, in der Jügler das Geschehen in kurzen, eingeschobenen Kapiteln mit dem Leitmotiv des Romans, dem Fischfang, verknüpft. Darauf bezieht sich auch der Titel des Romans – eines Buches, in dem sich Jügler nicht weniger vorgenommen hat, als anhand eines exemplarischen, fiktiven, aber möglichen Vorfalls von einem noch weitgehend unerforschten Aspekt der DDR-Historie zu erzählen. Jügler vermag es dabei, seine Geschichte so geschickt, empathisch und subtil auszugestalten, dass kein plattes Enthüllungsbuch, auch kein bloß auf die finale Beseitigung aller Ungewissheiten abzielender historischer Roman entsteht. Einige Fragen werden natürlich beantwortet, andere – und vielleicht die interessantesten – bleiben der Phantasie oder vielleicht besser: dem Traum überlassen. Wenn Sie also wissen wollen, was Hans über den Tod seines Sohnes herausfindet und warum die Maifliegenzeit dafür – auch und gerade symbolisch – die passende Zeit ist, und wenn sie Freude daran empfinden, die Leerstellen eines Romans mit eigenen Vorstellungen zu füllen, dann sei Ihnen Matthias Jüglers spannender Roman empfohlen.
Alexander Schüller