Daniel Bogner: Liebe kann nicht scheitern. Welche Sexualmoral braucht des 21. Jahrhundert? Freiburg: Herder Verlag 2024, 191 Seiten, 24,00 €; ISBN 978-3-451-39850-6.
Das Buch ist in der Medienstelle unter der Signatur 241.1 Bogn entleihbar.
Liebe geht aufs Ganze! Unter diesem Motto stellt der Autor Chancen zum Lieben dar, ohne dessen Grenzen zu verleugnen. Die Liebe im 21. Jahrhundert kennzeichnet er realistisch als zwar fragile, kontingente, zudem wie eine Ware kapitalistischen Marktmechanismen unterworfene, jedoch faszinierende, sinnstiftende menschliche Möglichkeit.
Der Sinn und die Praxis des Ehesakraments sind dafür neu zu justieren. Herausgelöst aus der Hülle eines doktrinären Moralismus, muss es von der Realität unterschiedlicher, sich entwickelnder menschlicher Lebensgemeinschaften ausgehen. So wird das mögliche Scheitern ebenso berücksichtigt, wie die vielfältigen Lebens- und Ausdrucksmöglichkeiten der Liebe und des Begehrens. Weil Gott christlich gesehen die Liebe ist, glühen dabei sogar die Drähte.
Sexualmoral wird meist nicht mehr befolgt
Dagegen glüht in der traditionellen katholischen Sexualmoral nichts. Sie wird von den meisten Katholiken nicht mehr befolgt. Der lange in der katholischen Kirche und Theologie üblichen Abwertung der Sexualität als etwas Gefährliches, das eingegrenzt und geregelt werden muss, gilt es eine neue Ethik des Liebens und des Begehrens entgegenzusetzen. Eine solche Ethik beinhaltet Lebensperspektiven für sexuelle Begegnungen in unterschiedlichen Situationen.
Wenn der christliche Glaube von einem beziehungsfähigen Menschen ausgeht, der zu verantwortlicher Lebensgestaltung berufen und befähigt ist, entsprechen dem abstrakte, uniforme moralische Normen nicht. Diese blenden situative Faktoren nämlich einfach aus. Daraus ergeben sich entsprechende ethische Konsequenzen: In ihrer Beziehung zueinander dürfen Personen keinen physischen und psychischen Schaden erleiden. Darum müssen die Orientierung und die Gestaltung ihres Miteinanders an Gleichheit, Klarheit, Einvernehmlichkeit, Gegenseitigkeit, Unversehrtheit orientiert sein. Dies sind grundlegende, unverzichtbare Einstellungen und Verhaltensweisen in Situationen der liebevollen Intimität.
Eine Ethik der Liebe
Der Dynamik der Liebe entspricht ihre Kennzeichnung als Weg mit glücklichen Erlebnissen und Situationen, beglückenden Erfahrungen. Zur Liebe in Bewegung gehören aber auch Konflikte. Diese könnten, einvernehmlich ausgetragen, möglicherweise zu der Entscheidung führen, wieder getrennte Wege zu gehen.
Eine Ethik der Liebe als Weg wird Menschen nach Krisen und Irrwegen motivieren, sich und einander wieder aufzurichten und miteinander weiterzugehen, wenn und solange das weiterführt. Eine solche Beziehungsethik erhält aber Beziehungen nicht um jeden Preis aufrecht. Ihr muss am Wohl der betroffenen Personen gelegen sein, auch der Kinder.
Fruchtbar werden vielfältige Liebes- und Lebenspartnerschaften. Die wichtigste Voraussetzung dafür besteht in der Frage, wie eine untereinander verbundene, miteinander intime, füreinander verantwortliche Beziehung gestaltet werden kann.
Nicht zuletzt das sexuelle Begehren und das erotische Miteinander ermöglichen Erfüllung. Die Sehnsucht miteinander zu wachsen, wird geistig und sinnlich realisiert. Der christliche Glaube ist auch mit der begehrenden Liebe verbunden. Über sich hinauszugehen, sich selbst auf den anderen und auf Gott hin zu transzendieren, wird in der sexuellen Vereinigung momentweise möglich. Die christliche Religion spricht von der Liebe als einem Sakrament: Liebende vergegenwärtigen auf ihrem gemeinsamen Lebensweg durch das, was sie einander und anderen sagen und tun, die Menschenfreundlichkeit Gottes, des Ich bin da. Er bleibt der Gott ihrer Wege, auch wenn die Paarbeziehung zerbricht und sich die damit verbundene Hoffnung nicht erfüllt.
Bogners Darstellung betont die Entwicklungsmöglichkeiten in einer Liebesbeziehung im Vertrauen zu Gott, der Menschen im Aufbruch begegnet. Dazu gehören Krisen, aus denen die Entscheidung des Paares erwachsen kann, getrennte Wege zu gehen.
Die Sexualmoral für das 21. Jahrhundert besteht in einem wirklichkeitsbezogenen, am Wachsen der Beziehung orientierten Ethos. Darunter versteht der Autor mit einer anschaulichen metaphorischen Wendung den nahrhaften Boden, auf dem die Liebe und deren Regeln sprießen können.
Bogners realitätsbezogene, anregende Ausführungen ermutigen dazu, zuversichtlich miteinander Lernwege der Liebe kennenzulernen und zu gehen, ein Ausdruck und ein Zeugnis der christlichen Hoffnung in den verschiedenartigen Liebesbeziehungen.
Heribert Körlings