Kirche braucht Bildung

Lesenswert

(c) Herder
Datum:
Di. 8. Apr. 2025
Von:
Alexander Schüller

Andreas G. Weiß: Kirche braucht Bildung. Ein Plädoyer. Freiburg: Herder Verlag. 2024, 160 Seiten, 18,00 €; ISBN 978-3-451-39735-6.

Das Buch ist in der Diözesanbibliothek unter der Signatur 74365 ausleihbar.


Der Satz, mit dem Andreas G. Weiß sein Buch über die Bedeutung kirchlicher Bildungsarbeit überschrieben hat, bleibt auf dem Cover ohne Satzzeichen. Was fehlt? Ein Punkt, ein Komma, ein Fragezeichen? Nun, am ehesten scheint der Satz ein Ausrufezeichen zu verlangen. Denn Weiß, Direktor des Katholischen Bildungswerks Salzburg, nennt sein Buch ein „Plädoyer“ und verrät, dass er über eine „persönliche Herzensangelegenheit“ schreibe (S. 24). Die Entschiedenheit, mit der Weiß sich dafür stark macht, dass die Kirche Bildung als wesentlichen Bestandteil ihrer Existenz betrachten solle, ist seinem Buch überall anzumerken – und gereicht ihm nicht zum Nachteil.

Es wäre aber genauso möglich, den Titel mit einem Fragezeichen zu beschließen. Denn Bildungsarbeit ist in einzelnen Bistümern fragwürdig geworden. Die Dauerkrise der Kirche, die sich auch in schwindenden Haushaltsmitteln bemerkbar macht, hat hier dazu geführt, dass Verteilungskämpfe über die künftige Zahl und Ausrichtung kirchlicher Angebote entstanden sind oder bevorstehen. In diesen Kämpfen gehört es zum Standardargument, dass die Kirche etliche ihrer althergebrachten Handlungsfelder aufgeben müsse, damit sie sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren könne wie die Spendung der Sakramente. Für Weiß ist Bildungsarbeit allerdings gerade eine dieser Kernaufgaben. In Form verschiedener theologisch und bildungstheoretisch fundierter Impulse warnt er eindringlich davor, Bildung zu einem bloß fakultativen kirchlichen Handlungsfeld herabzustufen. In seiner Argumentation setzt er auf bewährte Argumente und nimmt gelegentliche Wiederholungen in Kauf, so als sollten sie die Überzeugungskraft seines Plädoyers erhöhen. 

Da auch der Bildungsbegriff fragwürdig, zumindest schillernd ist, versucht Weiß herauszuarbeiten, was unter Bildung zu verstehen ist. Dabei fasst er den Begriff so weit wie möglich: Bildung erscheint als „unerlässlicher Ermöglichungsgrund sowie eine inhärente Bedingung für christliches und kirchliches Handeln“, „eine fundamentalpragmatische Disposition, eine Haltung im Dienst der Ermöglichung, des Entdeckens und der (Neu-)Orientierung“ (S. 25). In dieser zentralen These des Buches deutet sich an, dass Bildung für Weiß mehr ist als die Aneignung christlicher Inhalte. Bildung ist durch Freiheit und Dynamik gekennzeichnet, durch kritische Reflexivität und die Bereitschaft zur Veränderung. Öffnung ist denn auch ein Leitwort des Buches – und oberstes Ziel der kirchlichen Bildungsarbeit, so wie Weiß sie konturiert: Öffnung für „Räume des Lebens, Glaubens, des Denkens und der Beziehung“ (S. 12). Dieses Ziel solle sowohl die individuelle als auch gemeinschaftliche kirchliche Bildungsarbeit bestimmen, die für Weiß einen lebenslangen, dialogisch ausgerichteten und unabschließbaren Prozess darstellt. Der Titel des Buches könnte daher auch in drei Pünktchen münden.

Zukunft der Kirche
Obwohl Weiß ausdrücklich keine Apologie kirchlicher Bildungsarbeit zu schreiben beabsichtigt, begründet er in seinem Buch ausführlich, warum sich die Zukunft der Kirche an der Frage der Bildung entscheiden werde. Der Titel könnte darum auch durch einen Kausalsatz fortgeführt werden, in dem Weiß – nicht defensiv, sondern selbstbewusst – erläutert, warum Bildungsarbeit eine identitätsstiftende, diakonische Aufgabe der Kirche und ekklesiologisch unverzichtbar sei. Zum einen sei die Kirche angehalten, Menschen in ihrem je individuellen Lernprozess zu begleiten und ihnen dabei weniger den Katechismus einzutrichtern, als ihnen erkennbar zu machen, dass die Beziehung zum eigenen Selbst und zur Welt unabschließbar sei. Zum anderen müsse sich die Kirche als „lernende Gemeinschaft“ aus der eigenen Komfortzone herausbegeben und die Begegnung mit dem Fremden suchen, nicht zuletzt mit kirchen- und religionskritischen Diskutanten. Dadurch könne sie nicht nur die „Zeichen der Zeit“ besser erkennen, sondern auch zur Metanoia befähigt zu werden: zur Ausbildung einer „Haltung der ständigen Überwindung starrer Menschen-, Gottes und Weltbilder“ (S. 107). Weiß erkennt gerade im Ablegen der „Scheuklappen vor der Welt“ (S. 94) einen notwendigen Selbstvollzug der Kirche. Denn die Kirche verwirkliche ihre Berufung nur, wenn sie sich von außen anfragen lasse und sich um die Aktualisierung und Realisierung der Heilsgeschichte in der heutigen Welt bemühe. Diese Konzeption einer demütig sich öffnenden „Bildungskirche“, in der Lehren und Lernen in einem reziproken Verhältnis stehen, hätte man sich gerne noch konkreter gewünscht. Wie kann Kirche mit Menschen in Kontakt kommen, die ihr feindlich gesonnen sind oder denen sie herzlich egal ist? Welchen Beitrag kann die Kirche mit ihren Bildungsangeboten zur Bearbeitung gesellschaftlich relevanter Themen wie Demokratieerziehung oder Diversity liefern, wenn man ihr dabei eine Expertise gar nicht zutraut? Ist Kirche wirklich eine lernende Gemeinschaft, wenn sie nicht nur Fragen von außen wahrnimmt, sondern auch, wie Weiß schreibt, in einem zweiten Schritt mögliche Antworten und Unterstützungsformen aus ihrer eigenen Weltsicht ins Spiel bringt? Müsste sie in einem echten Dialog nicht vielmehr geeignete Antworten und Unterstützungsformen erst und immer wieder neu entwickeln? Mit diesen Fragen bestätigt sich, dass Weiß allerdings richtig liegt, wenn er meint, dass Bildung für die Kirche ein Seismograph der eigenen Lebendigkeit sein könne. Der Titel des Buches könnte insofern auch in ein Semikolon münden. Der Satz hat nur einen Einschnitt; er wird fortgeführt. Die Diözesen sind nun am Zug. Sie wären gut beraten, wenn sie in ihren internen Debatten diese öffentliche Plädoyer zu Kenntnis nähmen.

 

Alexander Schüller 

 

Die Besprechung ist auch im aktuellen „Eulenfisch Literatur“, dem Online Literaturmagazin des Bistums Limburg, erschienen. Weitere Rezensionen finden Sie hier:https://www.eulenfisch.de/literatur/literaturmagazin/literaturmagazin-01-2025