Jon Fosse: Trilogie

Lesenswert

(c) Rowohlt Verlag
Datum:
Di. 12. Dez. 2023
Von:
Alexander Schüller

Jon Fosse: Trilogie, Schlaflos, Olavs Träume, Abendmattigkeit. Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt: Rowohlt 22023, 205 S., 22,00 Euro; ISBN 978-3-498-02065-1.

Das Buch ist im Belletristikregal der Religionspädagogischen Medienstelle einsehbar und auch ausleihbar.

Ein junges Paar – Asle und Alida, beide sind gerade 17 Jahre alt – ist in Bjørgvin (Bergen), der zweitgrößten Stadt Norwegens, auf der Suche nach einer Unterkunft für die Nacht und darüber hinaus. Ihre Lage ist prekär.

Sie ist hochschwanger, und das spätherbstliche Wetter ist unbehaglich: kalt, feucht und dunkel. Dennoch will niemand sie beherbergen. Diese Situation erinnert an das Weihnachtsevangelium, und der Rowohlt-Verlag hat die „Trilogie“, für die Jon Fosse 2015 den Literaturpreis des norwegischen Rates erhielt, insofern sogar als ‚fast biblisch‘ angepriesen. Fosse selbst ist mit dieser Deutung allerdings nicht einverstanden: „Als ich diese Erzählung schrieb, dachte ich ehrlich gesagt überhaupt nicht an die Bibel. Es ist doch nur die Geschichte eines jungen Paares, das eine Bleibe sucht. Das findet man doch überall im Leben. Ich halte nichts von literarischen Anspielungen. Ich kann dieses ganze Intertextualitätszeug nicht leiden. Ich versuche nicht, klug zu sein. Ich schreibe einfach nur. Schreiben ist Lauschen." 

 

Die Sphäre des Göttlichen ist ausgespart

In der Tat fehlen bei Fosse, der jüngst auch mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, alle weiteren Komponenten der Weihnachtsgeschichte: der Stall, die Hirten, Ochs und Esel, vor allem aber die Botschaft des Engels, dass es sich bei dem Kind des Paares – Sigvald – um den Erlöser handelt. Überhaupt ist die Sphäre des Göttlichen aus allen drei Erzählungen ausgespart. Trotzdem dreht sich bei Fosse alles um Transzendenz; sie wird allerdings innerweltlich konzipiert. Asle und Alida suchen die tiefe und vor allem bleibende Beziehung zu einem Menschen; sie suchen sie vielleicht mehr noch als andere, da beide schon als Kind bzw. Jugendlicher den Tod des eigenen Vaters verkraften mussten. In-Beziehung-Stehen – das ist ihre Erlösung und bringt sie, wie es wiederholt in den Erzählungen heißt, regelrecht zum Schweben. 


Doch die Gemeinschaft weist sie zurück


Asle und Alida suchen aber noch nach einer anderen Form der innerweltlichen Transzendenz, der Aufnahme in die Gemeinschaft. Sie lernen sich nicht zufällig bei einer Hochzeit kennen, im „Denken der Literatur“ nach Peter von Matt „die umfassende Versöhnung mit der allgemeinen Ordnung“.
Doch die Gemeinschaft, hier die Gesellschaft Bjørgvins in Gestalt von 19 Hauseigentümern, weist sie – als unverheiratetes, nicht ordnungsgemäßes Paar – zurück und degradiert sie auf diese Weise zu Außenseitern. Das Paar hat – und das ist eine Analogie zur Weihnachtsgeschichte – in dieser Welt keinen Ort. Die Lage verschärft sich noch, als man Asle gleich mehrere Morde vorwirft. Ob er sie begangen hat, bleibt unsicher – wie so vieles in Fosses Texten, wenngleich durchaus erkennbar wird, dass Asle bereit ist, seinem Gegenüber im Notfall auch Gewalt zuzufügen wie jener alten Frau, die sie nicht in ihr Haus lassen möchte. Die gesellschaftliche Verstoßung führt zu schuldhaftem Verhalten, da sie ihrerseits eine – komplementäre und obendrein gesteigerte - Repression bewirkt. Der Kreislauf gegenseitiger Abstoßungsreaktionen führt Menschen jedoch immer tiefer in Beziehungsabbrüche, in Isolation. Asle und Alida ändern sogar ihre Namen und lösen damit die Bindung an Herkunft und Familie. Ihre Sehnsucht nach Transzendenz bleibt aber ungebrochen, ja sie wird vielleicht noch stärker. 


Die Liebe, die keine Grenzen akzeptiert


Die Erfahrung von Transzendenz wird Fosses Figuren auf unterschiedliche Weise zuteil: in Erinnerungsträumen, die die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Hier und Dort sprengen; in den Abendstunden, wenn die Konturen ineinander übergehen; in der Familie, die durch die immer gleichen Namen über Generationen miteinander verbunden bleibt; natürlich in der Liebe, die alle Grenzen, selbst die Grenze des Todes, nicht zu akzeptieren vermag; vor allem aber in der Natur, die jenes Zusammengehörigkeitsgefühl vermittelt, das die Gesellschaft Asle und Alida verweigert, ja mehr noch: Die Betrachtung der Natur schenkt eine geradezu mystische Erfahrung, die Erfahrung der All-Einheit: „[…] und Alida denkt, sie und Asle lieben sich immer noch, sie sind beieinander, er bei ihr, sie bei ihm, sie in ihm, er in ihr, denkt Alida, und sie blickt über das Meer und am Himmel sieht sie Asle, sie sieht, dass der Himmel Asle ist, und sie spürt den Wind, und der Wind ist Asle [...].“ 

Transzendenz und Erhebung

Zu einer ähnlichen mystischen Erhebung ist auch die Kunst fähig, in Fosses drei Erzählungen in Gestalt der Musik. Denn Asle hat von seinem Vater eine Fiedel geschenkt bekommen, auf der er bald auch zu spielen beginnt, „[…] und ein Glück, so groß, lässt sein Spiel eins werden mit allem, das wächst und atmet, und er spürt seine Liebe zu Alida in sich fließen und fließen und sie fließt über in sein Spiel und sie fließt über in alles, das wächst und atmet [...]“.
Nicht von ungefähr kann Alida bei Asles Spiel sogar die Stimme ihres toten Vaters hören. Die mystische Erfahrung, die sich im Hören ereignet, umgreift das Lebendige ebenso wie das Tote, verknüpft Orte und Zeiten, Gefühle und Erinnerungen. Auch Sigvald, Asles und Alidas Sohn, wird später Spielmann werden und ebenso sein Sohn und dessen Sohn, Jon, der nicht zufällig denselben Namen wie der Autor trägt.
Kann es da überraschen, dass Fosses Sprache auch und gerade in der „Trilogie“ höchst musikalisch klingt, geprägt von einem eigenen Rhythmus, der einen regelrechten Sog erzeugt? Und kann es überraschen, dass Fosse an vielen Stellen auf begrenzende Punkte verzichtet? Nein, die Sprache inszeniert, wovon sie erzählt: Transzendenz und Erhebung, den Zusammenhang von allem mit allem, den das Ende der letzten Erzählung „Abendmattigkeit“ berührend inszeniert. Es ist an der Zeit, Fosses Sprache (auch in der gelungenen deutschen Übersetzung) zu lauschen und sich von ihr zum Schweben bringen zu lassen. 


Alexander Schüller