Gott. Freund der Freiheit

Lesenswert

(c) Herder Verlag
Datum:
Di. 7. Nov. 2023
Von:
Alexander Schüller

Magnus Striet/Helmut Hoping/Stefan Orth (Hg.): Gott. Freund der Freiheit. Ein Streitgespräch. Freiburg i.Br./Basel/Wien: Herder 2023; ISBN 978-3-451-27463-3, 18,00 Euro. 

Das Buch ist in der Diözesanbibliothek unter der Signatur 72181 entleihbar.

 

„Ein heftiges Sichauseinandersetzen, Zanken [mit einem persönlichen Gegner] in oft erregten Erörterungen, hitzigen Wortwechseln, oft auch in Handgreiflichkeiten“ – so definiert der Duden das Wort „Streit“. Keine Angst! [...]

In dem kleinen Buch, in dem Magnus Striet und Helmut Hoping auf knapp 140 Seiten das im Untertitel verheißene Streitgespräch führen, sind keine hitzigen Wortwechsel, keine emotionalen Erregungen, erst recht keine Handgreiflichkeiten dokumentiert. Wohl aber zeugt der Gesprächsband von einer munteren, theologisch perspektivreichen und dabei stets sachorientierten Auseinandersetzung, in der die Diskutanten klar Position beziehen und sich argumentativ nichts schenken.

 

Beide sind nicht harmoniesüchtig
Denn harmoniesüchtig sind die beiden Theologieprofessoren, die zu den angesehensten Vertretern ihrer Disziplin gehören, zweifellos nicht, und das ist auch gut so. Denn sonst wäre der Band für seine Leser*innen nur halb so interessant. Das Gespräch, dessen erstes Kapitel 2022 bereits in der Herder Korrespondenz erschienen ist, lebt von der produktiven Kontroverse zweier Antagonisten der systematischen Gegenwartstheologie. Produktiv ist diese Kontroverse, weil sie – wie Stefan Orth, Chefredakteur der Herder Korrespondenz im Vorwort schreibt - Diskussionen befruchten, neue Debatten auslösen, aber auch und gerade zu mehr Klarheit in theologischen Fragen verhelfen kann.

 

Große Fragen der Theologie
In acht Kapiteln animiert Stefan Orth die beiden Gesprächspartner einige der großen Fragen der Theologie zu bedenken. Dazu gehören etwa die Gottesfrage, die Frage nach der Rolle Jesu, die Frage nach Entwicklungsmöglichkeiten der kirchlichen Lehre, aber auch aktuelle ethische, anthropologische und kirchenpolitischen Fragen – und schließlich sogar die Frage nach der Zukunft des Christentums. Die Antworten auf diese Fragen sind an-, manchmal auch aufregend. Sie erzeugen Kopfnicken oder -schütteln, ziehen die Leser*innen bald auf diese, bald auf jene Seite und verhindern jegliche Form intellektueller Imprägnierung. Vor allem aber zeigen sie die Bandbreite heutigen theologischen Denkens, das zwar von teils erheblichen Kontrasten bestimmt wird, aber zumindest im akademischen Bereich nicht durch jene emotionalisierenden Polarisierungen geprägt ist, die verhindern, dass der jeweils andere gehört und ernst genommen wird.

Menschliche Freiheit steht im Fokus 
Orth legt deshalb viel Wert darauf, schon im Vorwort zu betonen, dass in der Theologie der beiden Gesprächspartner der Begriff der menschlichen Freiheit eine wesentliche Rolle spielt. Der gemeinsame Fokus der jeweiligen Arbeit auf diesen Begriff bedeutet indessen nicht, dass die beiden Theologen im Hinblick auf die zu besprechenden Fragen (besonders nach dem Zusammenhang von Freiheit und Sünde) zu ähnlichen, nur anders nuancierten Ergebnissen kämen; es bedeutet nicht einmal, dass der Begriff der Freiheit ähnlich bestimmt wird (Freiheit als Gabe Gottes vs. keine kausale Verursachung von Freiheit). Sehr wohl bedeutet es jedoch, dass sie beide dem Gesprächspartner die Freiheit der eigenen Ansicht zugestehen und ihm mit Respekt und Wohlwollen begegnen. Diese Grundhaltung führt der Gesprächsband im konkreten Vollzug vor und erreicht damit auf eindrucksvolle Weise sein ehrgeiziges, von Orth im Vorwort gesetztes Ziel. Es besteht darin, deutlich zu machen, wie bedeutsam es ist, sich auf den Anderen einzulassen, um Polarisierung und Populismus zu überwinden.

Anspruchsvolle Argumentation
Wer den Gedankenflügen der beiden Theologen folgen will, braucht die Bereitschaft, sich auf eine pointierte, anspruchsvolle Argumentation einzulassen, z.B. wenn Magnus Striet den Konstruktcharakter der Offenbarung herausarbeitet und festhält, wir Menschen könnten nur hoffen, dass das von Menschen als Offenbarung Gottes Geglaubte tatsächlich die Offenbarung Gottes sei. Hoping hält diese Auffassung für offenbarungstheologischen Konstruktivismus und entgegnet, dass mit dem Glauben stets eine Gewissheit verbunden sei, oder konkret gesagt: dass der Glaube an einen von Ewigkeit her existierenden Gott für den Glaubenden mehr als nur eine Option unter vielen sei. Darüber hinaus sei der Glaube an Gott mehr als eine Form der Kontingenzbewältigung.

Wenn der Mensch mit dem Tod hadert
Hoping wendet sich damit gegen Striets Befund, dass der Glaube an einen allmächtigen Gott – kulturwissenschaftlich betrachtet - immer dann ins Spiel komme, wenn der Mensch mit dem Tod hadere. Diese Kontroverse lässt beispielhaft erkennen, dass der Fundamentaltheologe Striet seine Thesen stark unter Berücksichtigung philosophischer und kulturanthropologischer Positionen entwickelt, während der Dogmatiker Hoping eher von der Theologie und besonders seiner eigenen Disziplin her argumentiert. Striets Hinweis darauf, dass schon die Möglichkeit intelligiblen Lebens in einem anderen Universum die Grundfesten der christlichen Dogmatik erschüttern müsse, hält Hoping denn auch für „Possibilientheologie“. Mit Striet ist sich Hoping aber wiederum einig, dass die Rede von Gott als dem ganz Anderen problematisch sei – seines Erachtens aber nur inkarnationstheologisch; im Rahmen einer metaphysischen Ontologie sei sie dagegen sogar notwendig. Wichtig erscheint beiden Theologen auch, dass die vielerorts zu beobachtende Kluft zwischen Leben und Lehre verringert werde. Doch wieder sind die Schlussfolgerungen verschieden. Während es Hoping problematisch erscheint, wenn die Lebensführung für kirchliche Dienst- und Anstellungsverhältnisse künftig keine Rolle mehr spiele, gibt Striet zu bedenken, dass es gute Gründe für die fehlende Übereinstimmung von Leben und Lehre geben könne; Gründe, die zu einer Änderung der Lehre führen könnten.

Eine Art Einführung in die katholische Theologie
Einig sind sich Striet und Hoping trotz aller erkennbaren Unterschiede darin, dass die Theologie „intellektuell satisfaktionsfähig“ sei. Ihr Streitgespräch belegt das auf unnachahmliche Weise. Der Gesprächsband wird dadurch zugleich – wie im Vorwort verheißen – zu „einer Art Einführung in die katholische Theologie“. Diese Einführung zeigt exemplarisch das Spektrum gegenwärtiger Theologie und wirft entscheidende Fragen auf: Sind dogmatische Entscheidungen als „definitive Punktsetzungen (Hoping im Anschluss an George Steiner) zu begreifen oder als Ergebnisse eines diskursiven, geschichtlichen Prozesses, dessen Entscheidungen auch korrigiert werden können (Striet)? Oder können beide Positionen sogar verknüpft werden?
Als „Einführung in die katholische Theologie“ eignet sich der Band bestens nicht nur zur privaten Lektüre, sondern auch für einen Einsatz im Religionsunterricht der Sekundarstufe II. Die Schüler*innen lernen zwei gegensätzliche Positionen katholischer Theologie kennen, konkretisiert an etlichen zentralen Themen. Sie können die Argumente beider Seiten erarbeiten, sie im jeweiligen Gegenlicht betrachten und so zu einer eigenen, begründeten Auffassung gelangen, ob der christliche Glaube in ihrem eigenen Leben eine Zukunft hat. 

Alexander Schüller