Annette Jantzen: Glaubensworte, weiblich. Biblische Anregungen und Gebete für heute. Freibug i.Br., Basel, Wien: Herder 2023, 160 S.; 16,00 Euro; ISBN 978-3-451-39602-1.
Das Buch ist in der Diözesanbibliothek unter der Signatur 72182 entleihbar.
Wir leben in einer Karsamstags-Kirche – einer Kirche, die sich erstarrt zeigt; einer Kirche, die sich überhaupt nicht mehr verändern will, einer Kirche, die auch weiterhin ihre ungerechten Strukturen legitimiert und sich dafür stellenweise sogar auf Gott zu berufen versucht.
Schärfer könnte die Diagnose nicht ausfallen, die Annette Jantzen, Frauenseelsorgerin im Bistum Aachen, in ihrem Buch „Glaubensworte, weiblich“ formuliert. Wie schon der Titel deutlich macht, knüpft Annette Jantzen mit ihrer neuesten Veröffentlichung an ihr eigenes Buch „Gotteswort, weiblich“ an, in dem sie ihren Leser*innen 2022 Begründungsmöglichkeiten für eine nicht-patriarchale Gottesrede präsentierte. Doch Annette Jantzen begnügt sich in „Glaubensworte, weiblich“ nicht mit einer düsteren, jegliche noch verbliebene Hoffnung zerstörenden Zeitdiagnose, sondern sie widmet sich einer konstruktiven und zukunftsträchtigen Aufgabe. Um nichts Geringeres geht es ihr als um (Neu-)Aneignung und Empowermennt – auch und vor allem durch die Sprache.
Krise der Karsamstagskirche ist auch eine Sprachkrise
Dass sich auch Annette Jantzens aktuelle Publikation um die Sprache dreht, ist kein Zufall. Denn die Krise der Karsamstags-Kirche ist für die Autorin nicht nur eine Gegenwarts-, sondern auch und in nicht unwesentlichem Maße eine Sprachkrise. Beides gehört für sie zusammen. Die Sprache des Glaubens sei ‚gegenwartsarm‘, weitgehend frei vom Einfluss heutiger Erfahrungen, lautet ihr Befund, und außerdem sei sie abgehoben und wenig persönlich: „In der Kirche sprechen wir viel und sagen wenig – wir vermitteln Glaubenswissen, wir legen Texte aus, wir rezipieren und reproduzieren vorgegebene Gebete, wir stützen uns darauf, dass die angestrebte Allgemeingültigkeit der Formulierungen Einheit gewährleistet. Und in alldem sind wir vergleichsweise ungeübt darin, über unseren eigenen Glauben zu sprechen.“ (S. 41) Vor diesem Hintergrund entwickelt Annette Jantzen die Idee ihres Buches.
Glaubensworte kann es nur im Plural geben
Es geht ihr darum, einen „neuen Sprachraum“ zu öffnen, „in dem ich meine religiöse Muttersprache neu zum Klingen bringe.“ (S. 10). Der Plural des Titels ist insofern bewusst gewählt. Glaubensworte kann es für Annette Jantzen nur im Plural geben, weil Glaube eine zutiefst persönliche Angelegenheit ist und selbst die Nutzung gängiger Gebetsformeln eine je eigene Aneignung erfordert. Glaube wird im Buch denn auch „als je unverfügbare Bewegung auf Gott hin“ definiert, und das bedeutet in letzter Konsequenz: Glaubenswahrheit ist ebenso standortgebunden wie alle menschlichen Erkenntnisse und entzieht sich einer letzten menschlichen, ‚unfehlbaren’ Entscheidungsinstanz. Dass dabei von bisherigen Traditionen und Formeln nicht einfach zugunsten einer reinen Subjektivität, einem Denken und Sprechen im luftleeren Raum, abgesehen werden kann, ist auch Annette Jantzen klar. Im zweiten Teil des Buches bezieht sie deshalb ausgewählte neutestamentliche Texte ein, die sie ‚gegenwartssensibel‘ auszulegen versucht.
Ihr Fokus liegt dabei auf Texten, „von denen aus die Rolle von Frauen in den Gemeinden der neutestamentlichen Zeit betrachtet werden kann oder die heute verwendet werden, um bestimmte Rollenerwartungen zu formulieren und zu sakralisieren.“ (S. 11) Das Sprechen über Frauen wird zum Ernstfall für die Entwicklung einer gegenwartsrelevanten Sprache: einer Sprache, die freies Denken und Handeln begünstigt und ermöglicht.
Spannende Patriarchatskritik
Die Auslegungen von insgesamt 20 biblischen Texten, die Annette Jantzen in ihrem Buch vorstellt, sind essayistisch gehalten und erheben nicht den Anspruch, alle möglichen exegetischen, dogmatischen oder kirchenhistorischen Perspektiven zu berücksichtigen. Sie sind vielmehr einer bestimmten Perspektive verpflichtet, der Patriarchatskritik, und lesen sich durchweg spannend, etwa wenn Annette Jantzen pointiert herausarbeitet, dass das Verb „diakonein“ in den gängigen Übertragungen verschieden übersetzt wurde, je nachdem, ob es sich auf Männer oder Frauen als Subjekt bezog. Die religiöse Komponente des Wortes wurde im letzten Fall nur selten einbezogen; „dienen“ hieß dann vor allem „kochen“ oder „spülen“. Die Ausführungen sind nicht nur an dieser Stelle betont zugespitzt und können gerade dadurch zu eigenem Denken und darüber hinaus auch zu kontroversen Diskussionen anregen. Insofern ist Annette Jantzen ein im besten Sinne anregendes Buch gelungen, dessen Impulsen man bestens folgen kann, ohne deshalb gleich alles abnicken zu müssen, was das Buch anzubieten hat. So ist es zum Beispiel müßig, darüber zu spekulieren, ob Paulus die Sternchen-Form verwendet hätte, wenn er bereits gegendert hätte, da diese Variation des klassischen Gedankenspiels der Historiker anders als vergleichbare Fragen (Was wäre gewesen, wenn Napoleon in Waterloo gesiegt hätte?) außerhalb der damaligen Möglichkeiten lag. Zudem konzediert Annette Jantzen selbst, dass Paulus sicher kein Feminist und Kämpfer für die Gleichberechtigung gewesen sei.
12 Apostel sind Garanten für Zuverlässigkeit in Glaubensfragen
Für Fachleute ist es gewiss auch nicht neu, dass die 12 Apostel für Lukas Garanten der Zuverlässigkeit in Glaubensfragen sind und keine Hierarchiestufe in einer kirchenamtlichen Organisation bezeichnen. Und neu ist für sie ebenso wenig, dass das griechische Wort „hyios“ nicht nur den Sohn bezeichnet, sondern auch die Träger bestimmter Rechte oder Eigenschaften und sich im Plural auf Frauen beziehen lässt. Doch Annette Jantzen schreibt ihr Buch nicht (primär) für Theologen, sondern für Menschen, die „mehr oder weniger zufällig in einen katholischen Gottesdienst geraten“ (S. 53). Diese Menschen möchte sie in den Stand versetzen, sich die biblischen Texte neu, sachlich angemessen und persönlich anzueignen, um auf diesem Weg, befreit von autoritär-hierarchischen Auslegungen und gängigen Denkschablonen, eine eigene Glaubenssprache zu finden. „Jesus zu begegnen ist Menschensache, nicht Männersache“ (S. 72) ist deshalb ein Schlüsselsatz des Buches.
Karsamstag pendelt zwischen Trauer und Hoffnung
Im letzten Teil präsentiert Annette Jantzen, ihrem Theorie und Praxis verbindenden Ansatz entsprechend, eigene Gebete, die ihre persönliche (Neu-)Aneignung dokumentieren, zugleich aber auch ihre Leser*innen zur Aneignung einladen, ja sie beispielhaft ermutigen, eine eigene Glaubenssprache zu finden. Diese Ermutigung wirft ein neues Licht auf die Karsamstagskirche. Denn der Karsamstag ist ein Tag dazwischen; er pendelt zwischen Trauer und Hoffnung, ist der Tag, an dem Jesus nach herkömmlicher Auffassung bereits die Seelen der Gerechten in der Unterwelt befreit hat. Die Karsamstagskirche könnte, so gesehen, eine Kirche sein, in der sich Befreiung punktuell schon ereignet. Es könnte die Kirche sein, in der die Gläubigen die Unzulänglichkeiten traditioneller Sprachspiele erkannt haben, die Fesseln abzustreifen und eigene, befreiende Sprechmöglichkeiten auszuprobieren beginnen. „Sich eine Gebetssprache zuwachsen lassen“ - Annette Jantzen bereitet diesem Wachstumsprozess mit ihrem Buch einen fruchtbaren Boden.
Alexander Schüller