Eine unheilige Allianz

(c) Hanser Verlag
Datum:
Di. 23. Jan. 2024
Von:
Alexander Schüller

Thomas Schüller: Unheilige Allianz. Warum sich Staat und Kirche trennen müssen. München: Hanser 2023, 208 Seiten, 22,00 Euro; ISBN 978-3-446-27766-3.

Das Buch ist in der Diözesanbibliothek einsehbar und unter der Signatur 72 248 entleihbar.

 

Thomas Schüller, Professor für Kanonisches Recht an der Universität Münster, gehört zu den bekanntesten und meinungsstärksten Theologen im deutschsprachigen Raum.

Wann immer es um die Bewertung der Weichenstellungen des synodalen Wegs der katholischen Kirche in Deutschland geht, um den Umgang mit der Missbrauchskrise in einzelnen Bistümern oder ganz grundlegend um das Verhältnis von Kirche und Staat – seine Meinung ist gefragt und wird von den großen Tageszeitungen auch eingeholt. Beides, die Prominenz und die Meinungsstärke, hängen dabei unmittelbar miteinander zusammen; denn Thomas Schüller ist nicht zu überhören.
Wer ihn zu einem Thema befragt, weiß, dass er nicht nur fachwissenschaftlich profilierte, sondern vor allem glasklare, zugespitzte und selten um diplomatische Zurückhaltung bemühte Antworten bekommen wird. Diese Antworten sind für einige erfrischend, für andere ärgerlich, für einige zukunftsweisend, für andere irritierend. Immer aber regen sie dazu an, die eigene Antwort auf die jeweilige Frage zu schärfen. 

 

Wendet sich an ein breites Publikum
Mit seinem neuen, im Hanser-Verlag erschienenen Buch wendet sich Schüller an ein breites Publikum. Bereits im Titel „Unheilige Allianz“, was im Sinne Foucaults als „Komplizenschaft“ verstanden wird, und im bekenntnishaften Untertitel formuliert Schüller seine These: unmissverständlich und entschlossen wie immer. Diese These arbeitet er in neun Kapiteln heraus, ohne um den heißen Brei herum zu reden. Diese neun Kapitel befassen sich durchweg, aber auf verschiedenen Ebenen mit etlichen neuralgischen Themen: dem kirchlichen Arbeitsrecht, dem Umgang mit sexualisierter Gewalt oder den Staatsleistungen.
Dabei greift Schüller auf seine Expertise als Kirchenrechtler zurück und schildert komplexe Zusammenhänge z.T. auch in ihrer rechtshistorischen Genese (etwa bei den Staatsleistungen). Gleichwohl hat er kein trockenes, von Gesetzestexten überfrachtetes Buch verfasst. Im Gegenteil: Hier schreibt jemand mit dem Blick für seine Adressat*innen; jemand, der sich Zeit für Argumente und Erklärungen nimmt. Hier schreibt aber auch jemand cum ira et studio – obgleich er selbst eigentlich eine „nüchterne Bestandsaufnahme noch fehlender Check an Balance-Standards“ auf staatskirchenrechtlich relevanten Gebieten anstrebt.


Hadert mit der Allianz von Staat und Kirche

Gerade die polemischen Stellen des Buches lassen freilich erkennen, wie sehr Schüller mit der Allianz von Staat und Kirche hadert, wie sehr er z.B. darüber verärgert ist, dass sich die Bischöfe – wie er am Beispiel des Umgangs mit sexueller Gewalt zeigt – teilweise nicht an das eigene Recht gehalten haben. Ob es für die Argumentation zielführend ist, dem ehemaligen Freiburger Erzbischof Zollitsch beim Umgang mit den Opfern sexualisierter Gewalt ein „schlechtes kaltes Herz“ zu attestieren, sei dahingestellt. Denn auch ohne diese Bewertung sind jene Zeugnisse bedrückend, die Schüller zusammenstellt und die zeigen, dass staatliche Behörden und kirchliche Institutionen sich noch bis vor etwas mehr als 20 Jahren stillschweigend darauf verständigt haben, etliche Sexualstraftäter in die Fürsorge der Kirche zu stellen, ohne sie vor ein staatliches Gericht zu stellen. Da ist es nur konsequent, dass Schüller beide Institutionen auffordert, diese Geschichte ihrer Beziehung in Geschichte und Gegenwart möglichst zügig aufzuarbeiten.


Immer wieder neu aufflammende Debatte


Auch im Kapitel über die Staatsleistungen geht Schüller forsch zur Sache. Seine Ausführungen liefern die Hintergründe für eine immer wieder neu aufflammende Debatte, die indessen allzu oft abgelöst von diesen (historischen und verwaltungstechnischen) Hintergründen geführt wird. So macht Schüller deutlich, dass es allein auf Ebene des Bundes, nicht aber auf Ebene der Länder ein Interesse an der Ablösung der Staatsleistungen gebe. In den Ländern kalkuliere man lieber mit einem verlässlich zu berechnenden Betrag, anstatt sich auf eine teure, in ihrer Höhe schwer absehbare Ablösung einzulassen. Zudem sei es für die Länder verlockend, dass sie je nachdem 3 oder 4 % des Kirchensteuervolumens für den von ihnen geleisteten bürokratischen Aufwand einbehalten könnten; das sind ca. 400 Millionen Euro jährlich. Dementsprechend hätten Ende März 2023 alle vierzehn zahlungspflichtigen Bundesländer den Parteien im Deutschen Bundestag mitgeteilt, dass die Ablösung der Staatsleistungen für sie bis auf Weiteres nicht auf der Agenda stünde. Demgegenüber hätten z.B. die Bistümer in Nordrhein-Westfalen kaum ernsthafte Vorbehalte gegen eine Ablösung, da die Staatsleistungen hier nur 2,2% der Haushalte ausmachten. Das letzte Wort in dieser Debatte ist allerdings noch nicht gesprochen, da die demografischen Veränderungen auf Dauer auch die in Deutschland insgesamt kirchenfreundliche Politik von Bund und Ländern zu neuen Festlegungen zwingen werden. 

 

Konsequente Garantie der Religionsfreiheit

Was aber wäre zu tun, um jene Allianz zwischen Staat und Kirche, die Schüller als verheerend bewertet, schon jetzt zu beenden? Seine Antwort: Es brauche einerseits eine „konsequente Garantie der Religionsfreiheit“ und andererseits eine „starke Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften“. Für Schüller bedeutet das konkret, dass der Kernbereich der Kirchen, Verkündigung und Unterrichtung von Glaubensüberzeugungen, auch künftig frei von staatlichem Einfluss gehalten werden müsse. Zugleich müssten die Kirchen aber überall dort, wo sie staatliche Aufgaben subsidiär wahrnehmen, konsequent auf die Einhaltung der Bestimmungen des Grundgesetzes verpflichtet werden und nur noch als ein Player unter vielen betrachtet und behandelt werden.

Schüller liefert mit seinem Buch eine Streitschrift ab, über die viel zu reden ist und über die schon viel geredet wird. Manche wichtigen Felder der Zusammenarbeit von Staat und Kirche werden jedoch nur gestreift, etwa der Bildungsbereich. Hier steht für Schüller die akademische Freiheit im Fokus, nicht aber die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts – eine Debatte, die nicht weniger brisant ist und vielfach noch am Anfang steht. 


Aufrüttelnder Beitrag

Das Buch sei all denen empfohlen, die einen aufrüttelnden Beitrag zu etlichen wichtigen Zukunftsfragen im Hinblick auf die Zusammenarbeit von Staat und Kirche erhoffen und sich dabei zu eigenem, auch neuem Nachdenken ermutigen lassen wollen. Denn klar ist: Viele der Fragen, die Schüller in seinem Buch aufwirft, werden angesichts des gesellschaftlichen Ansehensverlustes der beiden christlichen Kirchen beständig an Relevanz gewinnen und erfordern bereits jetzt und nicht erst in unbestimmter Zukunft die nötigen überzeugenden Antworten.

Alexander Schüller

 


Save the date:
Am 25.09.2024, 18.00, wird Thomas Schüller im Katechetischen Institut zur Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts sprechen und damit ein Thema aufgreifen, dass in seinem Buch nur am Rande vorkommt. Der Vortrag wird in Kooperation mit dem dkv Aachen veranstaltet. Seien Sie dazu bereits jetzt herzlich eingeladen!

Transparenzhinweis: Der Autor dieser Rezension ist mit Thomas Schüller weder verwandt noch verschwägert.