Linda Wolfsgruber: sieben. die schöpfung. Innsbruck: Tyrolia 2023, 120 S., ISBN 978-3-7022-4150-6; 26 €
Das Buch ist entleihbar in der Medienstelle unter Signatur 22.09 Wolf
Welche Assoziationen haben wir zur Zahl „7“? Den meisten wird wohl der Rhythmus der Wochentage einfallen, der unser Leben über die Arbeits- und Ruhezeiten auch in der Ära von zunehmendem Homeoffice und Auflösung starrer Arbeitszeiten bestimmt. Seinen Ursprung hat diese Wochenstruktur in der jüdischen Tradition, die im priesterlichen Schöpfungsgedicht das Arbeiten und den Tag der Ruhe auf Gottes Schöpfungswerk zurückführt.
Daran erinnert uns die in Südtirol geborene Buchillustratorin und Kunstschaffende Linda Wolfsgruber in ihrem eindrucksvollen Werk „sieben. die Schöpfung“. Den hymnischen Lobpreis auf Gott als Schöpfer deutet sie zugleich als Lob der faszinierenden und fragilen Schöpfung selbst. Sie steht im Mittelpunkt dieses konsequent strukturierten Bilderbuchs. Gerahmt durch zwei Texte auf leuchtend gelbem Untergrund – am Anfang „Weil sie uns anvertraut ist …“, am Ende „So wird erzählt von Himmel und Erde, als sie erschaffen wurden.“ – sehen wir immer in gleicher Abfolge: zuerst die eröffnende Doppelseite mit dem Schriftzug „Tag 1-7“ in immer farbiger werdende Gestaltung auf schwarzem Untergrund, dann jeweils sechs Doppelseiten mit den sich entwickelnden Schöpfungswerken, schließlich die siebte Seite mit dem Satz „Es wurde Abend und es wurde Morgen“ und einer resümierenden Darstellung des Tages im kreisrunden Bild. Nur am siebten Tag lesen wir abschließend: „So wurden Himmel und Erde und ihr ganzes Miteinander vollendet.“
Ausdrucksstarke Bildwerke
Die Bildwerke - zum Teil Monotypien (Druckgrafiken von nichtporösen Trägern), zum Teil in Ölkreiden-Kratztechnik ausgeführt - sind ausdrucksstark und verändern sich von monochromen Anfängen zu immer filigraneren Ausdifferenzierungen von Universum, Erde und dem Leben auf ihr. Sie erinnern mitunter an Höhlenmalereien. Es entwickeln sich von Tag zu Tag Licht und Dunkel, der Himmel oben und die Erde unten, Meer und Land, die Sterne am Himmel mit Sonne und Mond, die Tiere im Wasser und in der Luft, die Landtiere und die Menschen. Die Darstellungen berücksichtigen Erkenntnisse heutiger Naturwissenschaften, sind aber immer künstlerisch deutend und nicht fotografisch abbildend. Die kurzen, jeweils in sieben Abschnitte zerlegten Bibeltexte gehen auf die Autorin unter Einbeziehung der Einheitsübersetzung und der Bibel in gerechter Sprache zurück.
Überraschung am Tag 6 der Schöpfung
Die große Überraschung führt meines Erachtens der Tag 6 vor Augen. Auf der 5. Seite kündigt Gott an: „Lasst uns Menschen machen – als unser Bild, uns ähnlich.“ Dabei sehen wir viele Landtiere, blättern um und lesen: „Gott schuf also die Menschen, segnete sie und sprach zu ihnen: Vermehrt euch, füllt die Erde und waltet über alle Tiere. Und Gott sprach: Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen und alle Bäume. Euch und allen Tieren sollen sie zur Nahrung dienen.“ Diese vegetarische Beschränkung der Bibel, die Gott als „sehr gut“ noch verstärkt, wird durch das Bild noch verstärkt. Denn wir sehen auch hier ausschließlich Tiere, sind also als Betrachter selbst die Erschaffenen, die den „Spiegel“ der Schöpfung vorgehalten bekommen und sie bestaunen. Auch auf der siebten Seite sehen wir lediglich die Umrisse von Frau und Mann (statt des üblichen Kreisbildes), in denen sich Pflanzen und Tiere widerspiegeln. Am Tag 7 wird dementsprechend die Schöpfung in ihrer Vielfalt gezeigt. Nur auf dem sechsten Bild sind zwei Menschen eher unauffällig neben den anderen Lebewesen zu finden.
Mensch nicht die Krone Schöpfung
So stellt Linda Wolfsgruber den Menschen nicht als Krone der Schöpfung dar, sondern als ein Lebewesen unter vielen anderen mit einer besonderen Verantwortung. Das gibt zu denken, gerade auch im Religionsunterricht, für den dieses Buch wertvolle Impulse anbietet. Die Kunstwerke fordern zu eigenen Gestaltungen auf, wobei auch Kratztechniken angewendet werden könnten und ein gemeinsames Werk der gesamten Schüler*innen aus vielen Einzelbildern entwickelt werden kann (ggf. auch als Leporello). Linda Wolfsgruber führt uns zu einer neuen Sicht auf das Schöpfungsgedicht der Bibel. Ihr Buch ist ein zugleich sanftes und eindringlich wirksames Plädoyer für ein demütiges und verantwortlich bewahrendes Verhalten des Menschen in der von Gott ins Leben gerufenen Welt.
Rainer Oberthür