Thomas Römer, Léonie Bischoff, Die Geschichte der Bibel, die Comic-Bibliothek des Wissens, Berlin 2019. Aus dem Französischen übersetzt: Naissance de la Bible. Comment elle a été écrite. Brüssel 2018.
Der 62-seitige, farbige Comic, der von Thomas Römer geschrieben und von Léonie Bischoff gezeichnet und koloriert wurde, bietet eine populärwissenschaftliche Einleitung in bibelhermeneutische Grundfragen. Die Comic-Reihe verfolgt ein didaktisches Ziel und möchte unterschiedliche Themenfelder der Geisteswissenschaften inhaltlich elementarisiert und medial ansprechend einem jüngerem Zielpublikum näherbringen.
So einfach geht Bibelwissenschaft: Die Bibel ist nicht vom Himmel gefallen und wurde auch nicht von einem einzigen Verfasser geschrieben. Die verschiedenen biblischen Bücher sind das Ergebnis von Textzusammenstellungen, die u.a. Mythen aus anderen Zivilisationen neu interpretieren und nicht selten auf eine jahrhundertelange Überlieferung zurückblicken. Mit einem spielerischen und für jedermann verständlichen Ansatz erklärt der Alttestamentler Thomas Römer, warum eine wörtliche Auslegung biblischer Texte unsinnig ist.
Der aus Mannheim stammende Exeget lehrt an der Universität Lausanne und hat am Collège de France den Lehrstuhl Milieux bibliques inne, der eigens für ihn geschaffen wurde. Léonie Bischoff ist Schweizerin und gehört zum Atelier Mille, einer der produktivsten Comicwerkstätten in Brüssel. Sie hat als Zeichnerin mehrere Comic-Alben bei dem renommierten Verlag Éditions Casterman veröffentlicht.
Vergleich "Mamma Mia" mit der Bibel
Eine Anekdote aus Thomas Römer Antrittsvorlesung im Collège de France sei vorab erlaubt. Der Alttestamentler verglich die Bibel mit dem Film „Mamma Mia!“: "Der Erzählstrang, also die Chronologie dieses Films, ist eindeutig zweitrangig. Der einzige Zweck der Handlung besteht darin, die Gruppierung und Organisation einer Reihe von Liedern der schwedischen Gruppe ABBA zu ermöglichen, die ursprünglich keine fortlaufende Geschichte erzählen und auch keine thematischen Verbindungen untereinander haben. Dasselbe gilt für einige biblische Chronologien." Damit ist auch der Ton für dieses kleine Büchlein angegeben.
Es ist pfíffig gestaltet: Als Avatare führen Thomas Römer und Léonie Bischoff in die Grundfragen biblischer Textdeutung ein. Meistens sind die beiden im Gespräch, ein andermal beobachten sie, was die Zeichnungen zeigen, greifen in die Illustrationen gestalterisch ein und bringen schließlich durch neue Fragen das Gespräch wieder in Gang. Diese Erzählweise sorgt für Verschnaufpausen, geschmeidige Übergänge und ist bestimmt nicht nur fachfremden Neulingen eine gelungene Lesehilfe. Die farbenfrohen Zeichnungen von Léonie Bischoff sind somit weit mehr als nur "flache" Illustrationen zu den Sacherläuterungen, die Thomas Römers Avatar in den Mund gelegt werden.
Die Bibel - ein gefährliches Buch
Das Büchlein ist in sieben Teile gegliedert: (1) Die Bibel - ein gefährliches Buch, (2) Die Bibel - eine Bibliothek, (3) Qumran und die ersten Bibelmanuskripte, (4) Die Ursprünge der biblischen Literatur, (5) Das Exil und die Entstehung der Bibel, (6) Die Herausgabe des Pentateuchs in persischer Zeit, (7) Die Verfassung der Propheten und der Schriften. Peu à peu begegnen den Leser*innen die in die Populärkultur eingegangen Erzählungen von Kain und Abel, der Sintflut, des Turmbaus zu Babel sowie die Legende vom Weidenkorb, in den Moses als Säugling im Nil ausgesetzt wird, die Erzählung vom Goldenen Kalb, die der Zerstörung der Stadtmauern von Jericho und so weiter.
Der mit 13,9 cm x 19,6 cm recht kleine Comic liefert gleich im Vorwort ein pointiertes Beispiel von nicht adäquater Bibeldeutung: David Vandermeulen, verantwortlicher Herausgeber der Reihe, erinnert an einen Vorfall, der sich 2015 im hessischen Fulda ereignet hat und damals für Furore sorgte. Auf dem 15. Forum Deutscher Katholiken zitierte Mgr. Vitus Huonder, Bischof von Chur, während eines Vortrags zum Thema "Ehe und Familie - ein gottgewollter Auftrag und ein Weg zum Glück" einen Auszug aus Levitikus 20, in dem homosexuelle Beziehungen als Gräuel bezeichnet werden und verwies etwas weiter auf die Datierung der Entstehung der Welt, die anhand der biblischen Texte vom irischen Erzbischof James Ussher im 17. Jahrhundert vorgenommen wurde (Entstehung der Welt am 23. Oktober 4004 v.Chr.).
Man möchte schmunzeln, doch jahrhundertelang und bis heute wurden die Texte der Bibel benutzt, um etwa Krieg, die Verurteilung von Homosexualität, die untergeordnete Stellung von Frauen in der Gesellschaft, Sklaverei, Invasionen und militärische Besetzung von Gebieten zu legitimieren.
Wissenschaftliche Ergebnisse in einfachen Worten
Thomas Römer schlägt vor, sich die Bibel als eine Bibliothek vorzustellen, die in drei Abteilungen gegliedert ist [Pentateuch (Tora), Propheten (Nevi'Im) und Schriften (Ketuvim)] und über Jahrhunderte in unterschiedlichen Kontexten und Epochen entstanden ist. Historische und politische Entstehungskontexte werden benannt, erste Einblicke in Textgattungen und Intentionen ermöglicht. Dem Bibelexperten gelingt das Kunststück, seine jahrzehntelange wissenschaftliche Arbeit in einfachen Worten einer breiten Leserschaft zugänglich zu machen und die Bibel als das darzustellen, was sie ist: ein wunderbares Stück Literatur. Als Philologe und Historiker verbietet er sich dabei jegliches Werturteil über Glaubensrichtungen oder Religionen, deren Entstehung aufs Engste mit den Verschriftlichungen der biblischen Erzählungen verwoben sind.
Das Genre Comic mag zunächst überraschen, aber es ist – so wie es hier vorliegt – nicht nur eine gelungene, sondern mit Blick auf den Kreis der Adressat*innen heute eine beinahe notwendige Form der Vermittlung, die für Gemeinde und insbesondere Schule bestens geeignet ist! Das einzige Manko: Es ist recht kurz und „einzigartig“, es sollte zweifelsohne mehr davon geben.
Jean-Pierre Sterck Degueldre