Der Teufel (Romanprojekt)

Lesenswert

(c) Suhrkamp
Datum:
Do. 22. Mai 2025
Von:
Alexander Schüller

Andreas Maier: Der Teufel. Roman. Frankfurt a.M.: Suhrkamp-Verlag 2025, 248 Seiten, 25,00 €; ISBN 978-3-518-43231-0.

Das Buch ist im Katechetischen Institut des Bistums Aachen, Eupener Str. 132, 52066 Aachen entleihbar. Es steht dort im Belletristikregal der Religionspädagogischen Medienstelle.

Es ist das ehrgeizigste Vorhaben der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: Andreas Maiers autofiktionales Romanprojekt, angelegt auf elf Bände, von denen jetzt der zehnte vorliegt. „Ortsbegehung“ – so hat Maier sein Projekt genannt, in dem er Familien- und Heimatgeschichte, biographische und kollektive Erfahrungen verknüpft - auf unterhaltsame Weise und räumlich immer weiter ausgreifend von „Das Zimmer“ über „Der Kreis“ bis zu „Die Heimat“. Sein neuer Roman springt sogar ins Transzendente; er trägt den Titel „Der Teufel“. 

Dieser Teufel taucht in dem Buch tatsächlich auf, und zwar ganz plastisch: als Teufelsfigur am Friedberger Chorgestühl, die dem Ich-Erzähler nicht mehr aus dem Kopf geht, nachdem er die Möglichkeit erhalten hat, sich in der sonst abgeschlossenen evangelischen Kirche umzuschauen. Der Teufel ist aber mehr noch als Metapher allgegenwärtig. Denn der Roman spielt in den 1970er und 1980er Jahren, in der Zeit des Kalten Krieges, der Irak- und Jugoslawienkriege, in der die Welt entlang verschiedener Grenzen in Gut und Böse eingeteilt ist und alles jenseits der eigenen Grenzen verteufelt wird: die DDR, der Ostblock, der Irak, die Serben. Es ist die Welt eines „alles innewohnenden Entweder-Oder“, wie es im Roman heißt.
Die durchgängige Erschaffung von Feindbildern stellt Maier auf klug pointierte Weise an Beispielen aus dem persönlichen, familiären und öffentlichen Leben dar. Besonders eindrücklich zeigt er anhand einer originalen Nachrichtenmeldung aus der „Tagesschau“, wie Feindbilder auf gar nicht subtile Art konstruiert und propagiert werden. 

Die Welt in Freund und Feind
Doch Maier begnügt sich nicht damit, die Aufteilung der Welt in Freund und Feind nur zu schildern; er macht auch, ja vor allem die Problematik aller Abgrenzungen deutlich. So kann sich in seiner Familie zunächst niemand erklären, warum Tante Lenchen nach ihrem Aufenthalt in der Bundesrepublik gerne in die DDR zurückreist. Schließlich meint man zu wissen, dass sie – als Teil des Systems – nicht anders könne, als es zu „müssen“. Anstatt auf die Irritation mit einer Infragestellung bisheriger Annahmen zu reagieren oder das Gespräch mit der Tante zu suchen, buchstabiert die Familie das bisherige Schema aus und konsolidiert damit ihr Freund-Feind-Denken. Die Tante wird nach vertrauten Vorstellungen eingeordnet, ohne ihr eigene Entscheidungen zuzugestehen. Dadurch wird sie entindivualisiert und auf Distanz gebracht, obwohl sie allen ideologischen Gräben zum Trotz noch immer zur Familie gehört. Auch die Welt der Jugendlichen, in der sich Hardrocker gegen Popper wenden, ist nur scheinbar eindeutig strukturiert. Sie kennt Gruppenbildungen ebenso sehr wie Freundschaften und Liebesbeziehungen über die Peergroups hinweg. 

Menschen zwischen den Fronten
In Maiers Roman treten aber auch Menschen auf, die zwischen den Fronten stehen, so wie der behinderte Onkel J., der sich nach dem Tod der eigenen Mutter nicht in die familiären Auseinandersetzungen verstricken lässt, sondern schlichtweg seiner Trauer Ausdruck verleiht. Für den Erzähler ist dieser Onkel deshalb „die einzig wahre Person im Raum“. Zwischen den Fronten befindet sich auch der Ort, in dem das Chorgestühl steht. Die ursprünglich katholische Kirche ist seit langem ein evangelisches Gotteshaus. Bisher wurde es vom Erzähler übersehen, da die andere Konfession in seiner Welt nicht vorgekommen ist. Nun findet er gerade hier die eigene Heimat wieder: Die Leere der Kirche erinnert ihn an sein Kinderzimmer. Selbst die Teufelsfigur beginnt zuletzt zu schillern. Andreas Maier hat mit „Der Teufel“ einen lesenswerten und höchst aktuellen Roman geschrieben. Denn die Welt ideologischer Abschottungen, von der er erzählt, ist nicht vergangen; sie konstituiert sich in jeder Generation neu – und auf nicht weniger fatale Weise als in der Vergangenheit.

 

Alexander Schüller