Name: Tetyana Lutsyk
Alter: 41
Wohnort: Aachen
Funktion: Diözesanbeauftragte für Seelsorge mit Geflüchteten; Diözesanbeauftragte für Seelsorge mit Sinti und Roma
Was macht Ihnen an Ihrer Tätigkeit als Diözesanbeauftragte für Seelsorge besonders große Freude?
Besonders große Freude machen mir die Begegnungen mit den Menschen, die trotz ihrer schlimmen Erfahrungen mutig und stark sind. Denn jede dieser Lebensgeschichten ist für mich wie ein ungeschriebenes Buch. In meiner Arbeit darf ich in ganz viele solche Bücher hineintauchen, die die Menschen vor mir öffnen und mich auch darauf neugierig machen, was ihnen die Kraft und den Sinn gibt.
In all den Begegnungen habe ich zahlreiche Kostbarkeiten kennengelernt – Menschen, die ihre auch noch so kleinen Träume verwirklicht haben, Menschen, die selbstlos für Andere da sind, Menschen, die mit unheimlich großem Durchhaltevermögen und Mut ihr Ziel erreicht haben, Menschen, die den Anderen Mut machen und mit ihnen ein Stück Weg gehen. Sie alle – mit dem realen Namen, mit ihrem Gesicht.
Leider hat nicht jede dieser Lebensgeschichten ein Happy-End: Mir sind gebrochene, entwurzelte, traumatisierte Menschen begegnet, die hier keine Heimat und keine Perspektive gefunden haben.
Austausch und Vernetzung mit den anderen Akteuren in der Flüchtlingsarbeit sind für mich die weiteren Punkte, die mir große Freude machen und mich bereichern. So bin ich unendlich dankbar, auch im Rahmen meiner Arbeit, für die guten Kontakte und Netzwerke, wo die Menschen aus unterschiedlichen Perspektiven auf ein Thema schauen, um gemeinsame Lösungen ringen und mit verschiedenen Ideen aktiv mitwirken. Das schätze ich an den zahlreichen ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiter*innen, die in Flüchtlingsarbeit unterwegs sind.
Wo sehen Sie die wichtigsten Herausforderungen für Ihre Tätigkeit?
Mir macht sehr große Sorge, wenn ich unsere heutige Gesellschaft schaue, auf den gefährlichen Wind, der hier weht – im Hinblick auf die Akzeptanz von Geflüchteten und von Menschen mit Migrationshintergrund. Unsere Demokratie scheint sehr fragil und bedroht zu sein, die ablehnende Haltung in Gesellschaft und Politik wird zur Normalität, zahlreiche Förderprogramme werden heruntergefahren oder komplett eingestampft.
Dies löst Verunsicherung und viele Ängste aus, vor allem bei den Geflüchteten, aber auch bei den Mitarbeiter*innen. In vielen Situationen wird mir bewusst, wie komplex die Lage von asylsuchenden Menschen ist, wie das Leben in Deutschland aus der Sicht von Migrant*innen und von gesellschaftlichen Minderheiten aussieht, auf welche Unwägbarkeiten und Ausgrenzungen sie hier stoßen, und was wir gemeinsam zu Einwanderung, Migration, Asyl, gesellschaftlicher Vielfalt und Zusammenhalt wir noch lernen müssen. Auch für uns als Kirche wünsche ich mir, dass wir diesen Themen in unseren strukturellen, räumlichen und personellen Kontexten mehr Raum geben.
Was bedeutet für Sie religiöse Bildung?
Religiöse Bildung heißt für mich nicht nur das Wissen um (eigene) Religion und ihre Ausdrucksformen, sondern sie hat für mich mit Werteorientierung und mit Haltung zu tun - in der Begegnung mit dem Anderen das Eigene, Identitätsstiftende besser zu verstehen und zu vertiefen.
Welche Wünsche haben Sie an das Katechetische Institut?
Ich wünsche mir, dass das Katechetische Institut ein Lernort für Identität und Vielfalt – religiöse, sprachliche, gesellschaftliche und kulturelle – bleibt.
Welches Buch / welchen Podcast möchten Sie unseren Leser*innen empfehlen?
Dieses Buch kommt aus der Rubrik: Wie fühlen sich die Menschen, die hier in der zweiten Generation der (Arbeits)Migranten leben? Es hat mich gepackt, weil es persönlich, inspirierend, an manchen Stellen ironisch und manchmal zum Schmunzeln und Nachdenken einlädt.
- Derwis Hizarci, Zwischen Hass und Haltung. Was wir als Migrationsgesellschaft lernen müssen, Berlin 2024.
- Für unterwegs empfehle ich den Podcast der Bischöflichen Kommission Kirche und Arbeiterschaft: „Auf dem Weg zur Arbeit“. Es lohnt sich!