Olga Tokarczuk: Anna IN. Eine Reise zu den Katakomben der Welt oder Frau Diesseits und Frau Jenseits. Zürich: Kampa-Verlag 2022. 192 Seiten 22,00 €. ISBN 978-3-311-10074-4
... erzählt von der machtbewussten, lebensfrohen Anna IN, die von ihrer Zwillingsschwester, der Herrin der Unterwelt, gerufen wird und sich auf diesen Ruf einlässt, obwohl sie weiß, dass es eine Reise ohne Wiederkehr sein könnte.
Olga Tokarczuk erzählt auf 176 Seiten den alten Mythos der sumerischen Inanna, Göttin der Liebe und des Krieges. Am Anfang beschreibt Tokarczuk die Quellen des Mythos und das führt hilfreich in ihren Roman ein:
Inanna verlässt ihr irdisches Reich, die Stadt Uruk, und steigt in die Unterwelt zu ihrer Schwester hinab. Sieben Pforten muss sie überwinden und bei jedem etwas von ihrem irdischen Leben zurücklassen: Zuerst Schmuck, Kleidung, Macht, Selbstbestimmung und zuletzt ihr Leben. Aber Anna IN hat eine Vertraute, die auf der Erde und im Himmel Alarm schlagen soll, wenn nach drei Tagen des Wartens Inanna nicht zurück kehrt.
Wie die Herrscherin von Uruk dann aus der Totenwelt befreit wird, erzählt uns Olga Tokarczuk und entfaltet dabei alle „Leerstellen“ dieses Mythos mit Fantasie und überraschenden, manchmal verstörenden Gedanken. Sie erzählt und malt bildreich aus, warum und wie Anna IN in die Katakomben hinabsteigt, was die Schwestern – „Frau Diesseits und Frau Jenseits“ (wie der Roman beim Kampa-Verlag auch heißt) – aneinander bindet und was es Inanna und andere kosten wird, wieder zum Leben zurückzukehren.
Olga Tokarczuk erzählt Uraltes neu und lässt uns Leser*innen entdecken, dass Mythen Geschichten sind, die niemals waren, aber immer sein werden.
Maria Cremers, Aachen/Würselen