20 Jahre „Die Bibel für Kinder und alle im Haus“

Wegweisend

(c) KI Aachen
Datum:
Di. 10. Dez. 2024
Von:
Rainer Oberthür

Geschichten und Erfahrungen rund um eine außergewöhnliche Bibel:

In einem anregenden Online-Seminar stellten am 2. Dezember 2024 Margarete Stenger als damalige Lektorin und Rainer Oberthür als Herausgeber im Gespräch mit Alexander Schüller anlässlich ihres 20jährigen Geburtstags „Die Bibel für Kinder und alle im Haus“ vor. Rainer Oberthür blickt hier auf die Entstehung und die Rezeption dieser weit verbreiteten und von vielen geschätzten Bibel (nicht nur) für Kinder zurück.

 

Hinter jedem Buch verbergen sich unzählige Geschichten. Da gibt es zum einen die, die von der Entstehung des Buches erzählen, und zum anderen die, die die Wirksamkeit des Buches in den Blick nehmen. Das gilt besonders, wenn es um die Bibel geht, also um das Buch der Bücher, das in sich bereits eine ganze Bibliothek darstellt. So hat auch „Die Bibel für Kinder und alle im Haus“ viele Geschichten hervorgebracht. Denn sie zeigte sich im Jahr 2004 und bis heute in einem sehr neuen Konzept und Gewand, das mit herkömmlichen Erwartungen an eine „Kinderbibel“ auf außergewöhnliche Weise brach.

Kinder und die großen Fragen
Kinder und ihre großen Fragen und in gleichem Maße die Bibeltexte ernst zu nehmen, das ist das Programm dieser Bibel. Jungen Menschen die Erzählungen und Poesie der Bibel so nah wie möglich am Original anzubieten und damit ihnen und den Texten gerecht zu werden. In der Auswahl gerade die Spiegelung zwischen den großen Fragen und den biblischen Geschichten vor Augen zu führen: Woher kommt die Welt? - das Gedicht von der Schöpfung / Warum geht es manchen gut und anderen schlecht, was zu Gewalt bis zum Mord führt? - die Erzählung von Kain und Abel / Warum lässt Gott das Leid zu? - die Geschichte von Ijob mit der Theodizeefrage / Wie und für wen ist Gott da? - die Lehrerzählung vom Propheten Jona usw.

„Bibliophil“ sollte sie sein: mit Halbleinen ausgestattet – hochwertig gedruckt in zwei Farben, die anzeigen, wann die Bibeltexte und wann meine Verstehenshilfen dran ist – mit anspruchsvollen Bildern der Kunst mit einer eigenständigen Bildsprache ausgestattet, die die Würde von Jahrhunderten ausstrahlen, wunderbar gedeutet von Rita Burrichter. So haben die Lesenden und Schauenden ein besonderes, wert-volles Buch in der Hand, das (z.B. zur Hl. Erstkommunion verschenkt) ein Leben lang „halten“ soll, mit dem man immer weiter im Glauben und fürs Leben wachsen kann. „Werde groß mit diesem Buch!“ Diesen Satz schreibe ich seit 20 Jahren beim Signieren auf die Widmungsseite.

Irrsal und Wirrsal
Dann war die Bibel da und führte zu neuen Geschichten: Beispielsweise von dem Mädchen in der 1. Klasse, das „Irrsal und Wirrsal“ (Martin Bubers Wortschöpfung zum Chaos vor der Schöpfung) noch nie gehört hatte, aber meinte, das sei sicher sowas wie „Krumel“, also Mamas Wort für das Chaos im Kinderzimmer. Von den verwunderten Eltern, die feststellten, dass ihr sechsjähriges Kind nun zum 2. Mal die fünfstündige Hörfassung der Bibel auf 4 CDs, gesprochen von Hildegard Meier und mir (2012, heute als Download erhältlich), im Kinderzimmer vollständig gehört hat. Von der Mutter, die so froh rückmeldete, dass ihr erwachsener Sohn nach dem Lesen dieser Bibel nun doch das eigene Kind taufen ließ. Von den vielen Religionslehrer*innen, die mit der Bibel ihren Unterricht gestalten, daraus vorlesen oder durch die eigene Lektüre für sich neue Erkenntnisse und Zusammenhänge entdecken. Von den Kindern und Erwachsenen, mit denen ich die verschiedenen Kartenspiel-Varianten des 2014 erschienenen „Bibel-Spiels“ mit viel Spaß erprobt habe, wo sich so manche als „Zocker*innen“ offenbarten ...

Und es gab auch viele, zum Teil sehr bekannte Rezensent*innen, denen das Buch gefallen hat. So meinte der Verleger Hans-Joachim Gelberg: „Ich habe die Oberthür-Bibel fasziniert gelesen, gegengelesen und wiedergelesen. Ich finde das alles großartig, ja aufregend. Auf einmal ist man wieder bibelkundig berührt von dieser unendlichen Geschichte, die Oberthür so kundig auswählt und immer wieder mit sanftem Kommentar versieht. Das Buch ist, altem Bibellesen eingedenk, ein Erlebnis.“ Der Schriftsteller Jürg Schubiger ergänzte: „Der Autor nimmt die Bibel beim Wort. Für Kinder eine Zumutung, die ihren Mut zu lesen wecken wird.“ Mehr Stimmen zur Bibel, die die Jury des Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreises auf die Empfehlungsliste 2005 setzte, finden sich auf meiner Homepage www.rainer-oberthuer.de.

Der "Turmbau zu Bibel"
Das alles ist ein Grund zu feiern - 20 Jahre mit 12 Auflagen! Im Kino-Film meint der (ursprünglich Aachener) „Buchspazierer“: „Die Bücher müssen zu den Menschen.“ Die vielen Menschen, zu denen die Bibel mittlerweile gekommen ist, habe ich mir irgendwann in anschaulichen Bildern vorgestellt. Zuerst war es der ausverkaufte alte Tivoli von Alemannia Aachen, in dem alle eine Bibel hochhalten. Mittlerweile näheren wir uns dem Fassungsvermögen des Stadions vom FC Bayern. Irgendwann habe ich mir die Bibeln alle gestapelt vorgestellt und gerechnet. Mit 38 Bibeln kam ich auf einen Meter. Der gesamte „Turmbau zu Bibel“ wäre inzwischen über 1900 Meter hoch - das größte Gebäude der Welt ist 828 Meter hoch. Ein Ende ist noch nicht in Sicht. Dankbar bin ich allen, die an diesem Turm mitgebaut haben. Hoffentlich ist er ein Gegenpol so manchen aktuellen Sprachverwirrungen und trägt zur (religiösen) Sprachverständigung bei! Arbeiten wir weiter daran und lesen mit Kindern gemeinsam die Bibel als ein Buch unserer großen Fragen und entdecken darin für uns und für heute glaubwürdige Antwortangebote!


Die Bibel mit Kindern LESEN!

Geschichten und poetische Texte der Bibel mit Kindern zu lesen, ist beglückend und bereichernd für alle Beteiligten. Vor dem Hintergrund der Entstehung meiner „Bibel für Kinder und alle im Haus“ will ich dazu ermutigen. Doch mit welcher Haltung begegne ich den Kindern und der Bibel? Wie werde ich beiden gerecht?

 

Kinder und ihre Fragen ernst nehmen und in der Bibel entdecken
Die Bibel ist nicht für Kinder geschrieben. Doch Kinder können mit biblischen Texten umgehen, wenn sie dabei von uns und „von der Bibel“ ernst genommen werden und mit ihren (Menschheits-)Fragen an die Bibel herangehen. Dann vollzieht sich eine doppelte Bewegung: Mit den eigenen Fragen entdecken wir die Bibel – mit der Bibel können wir die eigenen Fragen entdecken. Wir lesen die Bibel und die Bibel liest uns.


Die Bibel als ein Buch aus vielen einzelnen Geschichten wahrnehmen

Kinder sollten die Chance erhalten, biblische Geschichten und Sätze jeweils für sich selbstständig und dennoch im Erzählzusammenhang kennen zu lernen. Im Hören, im inneren Mitgehen und Nachvollziehen, im Gespräch, im Erinnern und Erzählen wird die Erfahrungs- und Lerngeschichte von Juden und Christen mit Gott gegenwärtig. In der gemeinsamen Suche nach Antworten findet diese Geschichte ihre lebendige Weiterführung. Eine Bibel für Kinder sollte m.E. von Anfang bis Ende lesbar sein und dennoch die einzelnen Bibeltexte nah am Urtext eigenständig erhalten.


Die Wahrheit der Bibel entdecken und verstehen

Die Wahrheit der Bibel ist zugleich überzeitlich und geschichtsbezogen. So erzählen die Urgeschichten, was (historisch) niemals war und bis heute immer noch (wahr) ist. Biblische Texte sind nicht erfunden, sie sind Offenbarungen in der Geschichte, Gottes Wort in Menschenwort. Kinder sind „Realisten und Mystiker“, ihr Zugang zur Welt ist konkret-anschaulich und hintergründig-philosophisch, offen für das Unsichtbare. Deshalb können sie tiefe Wahrheit unter der Oberfläche der Realität intuitiv verstehen.

 

Sich von den Bildern der Bibel ansprechen lassen
Die Texte der Bibel sind wie jedes religiöses Sprechen bilderreich. Der hinter den Bildern, Metaphern und Symbolen verborgene Sinn sowie die darin ausgedrückte Undarstellbarkeit und Verborgenheit Gottes wollen entdeckt werden. Einen vergleichbaren und doch eigenen Weg gehen Bilder von Künstlern, die zu den Texten der Bibel entstanden sind. Sie bringen die Erfahrungen des Künstlers sowie die den Bibeltexten zugrundeliegenden Erfahrungen mit den Erfahrungen des Betrachters zusammen. Das Betrachten und „Lesen“ anspruchsvoller Bilder zur Bibel bietet fruchtbare Gesprächsanlässe.

 

Anspruch und Provokationen der Bibel zulassen
Gerade die (auch für Erwachsene) „schweren“ Texte fordern Kinder heraus und sollten ihnen zugemutet werden. In den Erzählungen von Elijas Erfahrung Gottes in der Stille oder Moses Begegnung mit Jahwe spiegeln sich eigene Gotteserfahrungen. In den Geschichten von Kains Brudermord, der Nicht-Opferung Isaaks durch Abraham und Ijobs Streiten mit Gott begegnen Kinder ihren Fragen nach Leiden und Sterben, Gewalt und Tod. Sie stellen fest: „Die Bibel gibt viel zum Nachdenken über mein Leben.“ (Lukas, 8 Jahre)

Kinder auf ihrem Weg durch die Bibel mit Deutungsangeboten begleiten
Jede Kinderbibel bietet durch Konzept, Textauswahl, Übersetzung, Verstehenshilfen und Bilder einen bestimmten Weg durch die Bibel an. Es ist zunächst der Weg der Herausgeber. Kinder müssen ihren eigenen Weg finden. Dabei brauchen sie glaubwürdige und kompetente, altersgemäße und zugleich auf Verstehenszuwachs angelegte Hilfen. Mit der Bibel sollten Kinder im doppelten Sinne groß werden können. Nichts sollte später zurückgenommen werden. Ein Bibel für Kinder sollte eine Bibel fürs Leben sein, insofern also auch für Erwachsene mit Gewinn lesbar sein. Die Bibel richtet sich an Menschen und jeder Mensch begegnet ihr im Rahmen seiner Möglichkeiten und Grenzen. Kinder bringen uns dabei oft zum Staunen!

Rainer Oberthür


Nachtrag: Natürlich hat die Medienstelle diese Bibel gleich drei Mal im Bestand unter Signatur 220.5 K Ober; zudem gibt es unter BM 5.0.4 & 5.0.6 das "Bibel-Spiel" sowie die Audio-CD, Signatur CD 14.35. Alles entleihbar, selbstverständlich!